Die Zukunft der Messe – Oder: Warum Messen die Plattform der Zukunft sind

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Messe München 01

Vor fünf Jahren veröffentlichte ich gemeinsam mit Klaus Dittrich, CEO der Messe München, einen kleinen Aufsatz im Handbuch Messemanagement, erschienen bei Springer Gabler, zur Zukunft der Messe. Wir behaupteten damals „Die Zukunft für Messeveranstalter liegt … nicht in der Konstruktion virtueller Messehallen, sondern vielmehr in der Nutzung virtueller Technologien in realen Ausstellungshallen, auf realen Events. Nicht die Messen werden sich zukünftig in das Internet integrieren, sondern Messeveranstalter werden das Internet in die Messehallen integrieren.“

Seitdem ist viel Wasser die Isar hinab geflossen und viele COVID-Viren haben die Bilanzen der Messeveranstalter verhagelt. Es war also an der Zeit Klaus Dittrich zu fragen, was aus unserer damaligen Prognose geworden ist – nach der Pandemie-Erfahrung und nach der viel beachteten IAA-Premiere in München 2021.

Und der Klaus Dittrich hat Zeit gefunden für einen Gastbeitrag auf unserem Blog zur Zukunft der Messe.


 

Klaus Dittrich

Klaus Dittrich, CEO Messe München

Die internationale Messebranche muss sich neu erfinden. Auf der IAA MOBILITY 2021, die im September zum ersten Mal in München stattfand, konnte man erleben, wohin der Weg geht.

Corona hat die Welt und unser Leben auf den Kopf gestellt. Die Folgen der schlimmsten Weltwirtschaftskrise in der Nachkriegsgeschichte werden uns noch lange begleiten. Es kann kein „Weiter so“ geben – diese Worte hört man derzeit in fast allen Branchen. Plötzlich müssen wir immer wieder Gelerntes und Erprobtes infrage stellen und konsequent neue Wege denken und gehen. Das gilt in besonderem Maße für die Messewirtschaft, die von Corona besonders hart getroffen wurde. Bislang mussten weltweit über 4.000 Messen abgesagt werden. Alleine in Deutschland haben laut einer Ifo-Studie Absagen von Messen aufgrund der Corona-Pandemie bisher zu einem gesamtwirtschaftlichen Verlust von 40 Milliarden Euro geführt.

Wir stehen also vor enormen Herausforderungen. Die aber bergen auch enorme Chancen: Ich glaube, dass Messen schon bald eine noch größere Bedeutung bekommen können als sie vor der Pandemie hatten. Messen können die Plattform der Zukunft werden. Darin liegt eine Mehrdeutigkeit, die durchaus beabsichtigt ist. Denn in meinen Augen haben Messen nicht nur eine große Zukunft vor sich. Sie sind auch die ideale Plattform, auf der Zukunft entsteht. Viele der zentralen Fragestellungen, die uns alle betreffen, können und werden hier im Wettbewerb der Ideen und Innovationen neue Lösungen finden. Die neue IAA MOBILITY, die wir von der Messe München gemeinsam mit dem VDA auf den Weg gebracht haben, ist ein gutes Beispiel für diese Entwicklung.

Zukunft der Messe, Messe der Zukunft – die Transformation muss in den Hallen stattfinden, aber vor allem: in den Köpfen.

Es gibt sicherlich nicht nur den einen richtigen Weg für die Messewirtschaft. Auch wird sich die Situation von heute auf morgen nicht radikal verändern können. Schrittweises Vorgehen, ausprobieren, immer wieder anpassen, vielleicht auch mal scheitern, aber dann hinzulernen, voranschreiten und nie das Ziel aus den Augen verlieren – das ist der Weg, den wir jetzt gehen müssen.

Was macht die IAA MOBILITY 2021 so wegweisend?

Der IAA MOBILITY kommt dabei in meinen Augen eine besondere Rolle zu, denn sie ist ein Leuchtturm für die gesamte Messebranche. Sie war die erste wirkliche Großveranstaltung seit Beginn der Pandemie und hat gezeigt, was möglich ist. Sie war gewissermaßen eine Blaupause, die von 5 wesentlichen Punkten definiert wurde:

Messe München1. DIE SICHERHEIT: Quality first. Wir haben gemeinsam mit den zuständigen Behörden im Laufe der letzten Monate Konzepte entwickelt, diese auf einer Pilotmesse im Juli verprobt und jetzt gesehen: 3G ist ein verlässlicher Weg für die Durchführung auch großer internationaler Messen. Grundsätzlich gilt für uns: Jede Veranstaltung wird individuell geplant und das entsprechende Schutz- und Hygienekonzept aktuellen Erfordernissen angepasst. Wir sind aber auch der Meinung, dass in Zeiten der anhaltenden Pandemie und damit verbundenen Rahmenbedingungen Qualität Vorrang vor Quantität haben muss. Hochwertige und sichere Events sind am Ende wichtiger als reine Besucherzahlen.

2. DER DIALOG: Plattformen versus Hallen. Der reine Präsentations-Charakter ist passé. Auf der neuen IAA MOBILITY wurde die Zukunft der Mobilität auf zahlreichen Plattformen – „Conference Stages“ – aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und diskutiert. Der Plattform-Gedanke ist ein wesentliches Kriterium, das die Nach-Corona-Messen kennzeichnet: Plattformen ermöglichen künftig die aktive Teilnahme am Messegeschehen, sie verbinden Aussteller und Besucher auch jenseits des Hallenparketts, sie ermöglichen und intensivieren den Dialog. Und das, wo immer sinnvoll, an 365 Tagen im Jahr online. Die IAA MOBILITY war die Premiere, der erste Schritt in diese Zukunft. Messen, die nur einmal im Jahr oder gar nur alle zwei Jahre stattfinden, bekommen so eine permanente digitale Präsenz.

3. DAS KONZEPT: The Public is part of it. Die IAA MOBILITY bot ein völlig neues Messeerlebnis dank eines weltweit einmaligen Konzepts: Sie band die komplette Münchner Innenstadt ins Messegeschehen ein und ließ alle, die sich interessierten, durch diverse Verbindungsrouten am Erlebnis „Zukunft der Mobilität“ teilhaben. Die Messe kommt also vom Messegelände in die Stadt direkt zu den Menschen. So bringen wir Ideen und Innovationen auch dem Endverbraucher nahe. Zukunft zum Anfassen und Ausprobieren. Industry meets consumers.
Diese Ergänzung der reinen Fachmesse fürs Fachpublikum kommt nicht von ungefähr. Die großen Fragen der Zukunft wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Klimawandel und eben auch Mobilität sind Fragen, die alle Menschen angehen und unser aller Zukunft betreffen. Deshalb sollten auch alle Menschen die Möglichkeit haben, an der Gestaltung dieser Zukunft teilzuhaben. Gut konzipierte Messen können diese Aufgabe erfüllen.

Messe München4. DAS ZIEL: Menschen verbinden, um Zukunft zu gestalten. Die Mission der Messe München ist: Wir bringen das Neue in die Welt. Das bedeutet, dass wir aktiv an der Gestaltung der Zukunft teilnehmen wollen. Messen können eine enorme Kraft entfalten, die über die Präsentation von Produktinnovationen weit hinausreicht. Sie können Themen auf die öffentliche Agenda setzen, den Dialog vorantreiben und manchmal sogar politische Gegebenheiten verändern.

Plattform der Zukunft bedeutet aber auch, die Rolle des Thought Leaders auszufüllen und entsprechend souverän aufzutreten. „Connecting Global Competence“ ist Claim und Anspruch der Messe München. Aber wir wollen nicht nur die Spezialisten untereinander vernetzen. Wir wollen sie auch mit allen Menschen verbinden, deren Zukunft hier verhandelt wird. Wer das Neue in die Welt bringen will, muss auch den Mut haben, selbst völlig neue Wege zu gehen. Diese Öffnung ist aus meiner Sicht ein ganz zentraler Punkt für die künftige Glaubwürdigkeit und Relevanz von Messen.
Wir können die anstehenden Probleme nur gemeinsam angehen. Niemand darf ausgeschlossen werden. Kritische Stimmen müssen gehört werden, auch wenn es manchmal unangenehm ist. Nur gemeinsam im Austausch der Ideen entsteht der Dialog, der uns weiterbringt. Deshalb war es für uns selbstverständlich, dass auf diversen Veranstaltungen der IAA MOBILITY, u.a. dem CEO SUMMIT, auch die Kritiker und Gegner der unterschiedlichen Ideen zu Wort kamen und aktiv in den Dialog einsteigen konnten.

5. DIE VERANTWORTUNG: Wachstum mit Demut. Eine Messegesellschaft ist zunächst ein Unternehmen, das seinen Stakeholdern verpflichtet ist und profitabel wirtschaften muss. Mit dem Wachstum geht jedoch eine Verantwortung einher, die künftig eine immer wichtigere Rolle spielen wird. Messen sind als Konjunkturmotor auch volkswirtschaftlich relevant, gerade für den Standort und die Region. Jeder Euro Umsatz bei der Messe München generiert zusätzlich 10 Euro Umsatz bei Dritten – Taxiunternehmen, Hotels, Restaurants etc. Auch deshalb war es die richtige Entscheidung, die IAA MOBILITY stattfinden zu lassen. München wird darüber hinaus als Smart City von den neu geschaffenen Infrastrukturen wie der Umweltspur „Blue Lane“ oder dem vorzeitig installierten 5G-Netz nachhaltig profitieren.

Für die Zukunft wird entscheidend sein, die wirtschaftliche Verpflichtung mit der gesellschaftlichen Verantwortung in Balance zu bringen. Klimaschutz und nachhaltiges Handeln, zum Beispiel, sind bei der Messe München als zentrale strategische Ziele mit globaler Bedeutung verankert. Nur so können wir Events wie auch die IAA MOBILITY glaubwürdig inszenieren.

Digitalisierung ist kein Ersatz für die menschliche Begegnung

Messe MünchenSchon vor der Pandemie haben wir bei der Messe München viel Zeit und Energie in die Entwicklung digitaler Messeformate gesteckt. Eine lohnenswerte Investition, nicht nur in den Phasen, als Präsenzveranstaltungen nicht möglich waren. Das frühe Erkennen und Nutzen der digitalen Möglichkeiten hat uns zu einem Vorreiter in der Branche gemacht. Warum also in Zukunft nicht völlig auf digitale Events setzen?

Die Antwort ist eindeutig und durch viele Studien in der letzten Zeit immer wieder bestätigt: Die menschliche Begegnung ist durch nichts zu ersetzen. Messen leben von Menschen, die Messe München lebt davon, Menschen zu verbinden. Networking, neue Geschäftskontakte, Geschäftsabschlüsse, aber auch der inspirierende Dialog – alles geht leichter face-to-face. Deshalb ist für mich die ideale Messe der Zukunft die intelligente Kombination vom Besten aus beiden Welten, der smarte Mix aus Präsenzveranstaltung mit digitalen, zeitlich unbegrenzten Add-ons. Ein unlimitierter Austausch, um Zukunft zu gestalten.


© Illustrationen: Messe München

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