Das ZDF stirbt aus, das Web ist nicht nur eine Generationenfrage und zwischen 20 Uhr und 20:15 Uhr darf man mich nicht anrufen – Ergebnisse und eine Einschätzung der wichtigen Studie des Hans-Bredow-Instituts zur Rolle der Medien für die Meinungsbildung

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Das renommierte – und rundfunknahe – Berliner Hans-Bredow-Institut hat vor kurzem unter dem schönen Titel „Informationsrepertoires der deutschen Bevölkerung“ eine Studie zum Beitrag von Fernsehen, Print und Online zur Meinungsbildung in Deutschland vorgelegt. Die wichtigste Basis der Studie ist eine repräsentative Befragung bei rund 1.000 Deutschen. Dabei sollten die Befragten in einer Selbsteinschätzung Auskunft darüber erteilen, wie wichtig die verschiedenen Medien heute für sie sind, und zwar bei der Meinungsbildung über
a) relevante politische Themen
b) das Weltgeschehen
c) das aktuelle Geschehen in Deutschland
d) das aktuelle Geschehen in der Region
e) das aktuelle Geschehen in persönlichen Interessensgebieten
f) die Lebenswirklichkeiten in anderen Milieus und Kulturen
g) das, was andere Menschen, die einem wichtig sind, über aktuelle Themen denken

Die Studie ist unbedingt lesenswert und mit den folgenden Zeilen möchte ich die aus meiner Sicht wichtigsten Resultate kurz zusammenfassen und bewerten.

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie

1. „Fernseh- und Hörfunknachrichten sind die mit Abstand meistgenutzten medialen Informationsquellen, mindestens 97 bzw. 94 Prozent nutzen diese zumindest gelegentlich. Lokale/regionale Tageszeitungen liegen auf dem dritten Platz. Es folgen politische Fernsehmagazine und Anzeigenblätter mit über 70 Prozent, Boulevardmagazine im Fernsehen mit über 60 Prozent und Nachrichtenmagazine mit über 50 Prozent. … [Es folgen] Hörfunk sowie allgemeinen Internetportalen wie gmx.de oder t-online.de mit über 40 Prozent Nutzern sowie Boulevardzeitungen, überregionalen Tageszeitungen, Google News, Onlineangeboten von Zeitungen und Zeitschriften mit über 30 Prozent Nutzern. Es folgen Reality-TV-Formate, Wochenzeitungen, alltagsnahe Fernsehserien, Illustrierte, Nachrichtenblogs, E-Mail-Newsletter von Nachrichtenanbietern und Online-Angebote von TV-Veranstaltern mit jeweils über 20 Prozent Nutzern.“


2. Bei den Jüngeren spielt das Internet eine relativ größere und das Fernsehen eine realtiv geringere Rolle. Im Print unterscheiden sich die Generationen kaum.

3. Das Fernsehen dominiert die Meinungsbildung in der Gesamtbevölkerung nach wie vor: „Für die politische Meinungsbildung sowie für Informationen über das Weltgeschehen und Deutschland ist das Fernsehen danach mit jeweils mehr als 40 Prozent der Nennungen das aus der Sicht der Befragten wichtigste Medium. In allen drei Fällen liegen die Zeitungen mit rund 20 Prozent der Nennungen auf dem zweiten Platz, es folgen das Radio und dasInternet. Für Informationen über die Region ist das Verhältnis von Fernsehen und Zeitungen umgekehrt, hier entfallen gut 40 Prozent der Nennungen auf die Zeitungen, weniger als 20 Prozent auf das Fernsehen.“

4. Das Internet spielt heute schon eine große Rolle bei Informationen über gruppenbezogene Trends. Hier ist das Web das wichtigste Medium überhaupt. Wichtiger ist nur die interpersonale Kommunikation.

5. Die gute alte Tagesschau hat wenig von ihrem Nimbus verloren: Kein Medium wird öfter genannt bei der Frage „Stellen Sie sich folgendes Informationsinteresse vor: Man möchte Informationen über das Weltgeschehen erhalten, also darüber, was gerade so auf der Welt passiert“ – Welche Informationsquelle nutzen Sie?

6. Facebook spielt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, das man erfährt, was Freunde und Bekannte denken und was in anderen Kulturen und Lebenswelten derzeit so abläuft. Hier ist Facebook nach dem Telefon das wichtigste Medium – wieder für den Schnitt der Durchschnitt der Bevölkerung, also nicht nur bei den Jüngeren.

7. Gleichzeitig wird Facebook heute nach Tagesschau und BILD-Zeitung als das drittwichtigste Medium eingeschätzt. Vermutlich wird es damit überschätzt. Aber Facebook ist eine enorm starke Marke.

8. Das ZDF stirbt aus: „Bei einigen Angeboten schlägt sich das Alter in besonders deutlicher Weise nieder: So steht ZDF heute bei den ab 60-Jährigen auf dem zweiten Platz, bei der mittleren Gruppe auf dem elften und bei den Jüngeren gar erst auf dem 165. Platz.“

Eine Typologie von Mediennutzern nach Informationsverhalten

Die größte Stärke der Studie liegt darin, dass sie sich nicht die Nutzung einzelner Medien zum Gegenstand macht, sondern dass sie „Medien-Sets“ überprüft, die abhängig vom Informationsinteresse von den Rezipienten kollektiv genutzt werden. Auf der Basis einer Analyse der Nutzung und Relevanz-Zuschreibung im Rahmen einer Selbsteinschätzung der Befragten definieren die Macher der Studie sechs typische Gruppen von Medienrezipienten:

a. Die „Informationsvermeider“ informieren sich auffällig wenig, nutzen das Internet auffällig stark (nicht zur Information) und verfügen über ein relativ niedriges Bildungsniveau.

b. Die „Journalismusinteressierten“ nutzen Informationen in Online, Print und TV überproportional. Ihre zeitliche Fernseh- und Radionutzung ist signifikant niedrig. „Die Zusammensetzung nach Altersgruppen weist Schwerpunkte bei den 30-39- sowie den 60- bis 69-Jährigen auf.“

c. Die „individualisierten Informationssammler“ verfügen über das breiteste Informationsrepertoir, nutzen also besonders viele Informationsquellen, im Vergleich v.a. politische Fernsehmagazine, überregionale Tageszeitungen, Boulevardzeitungen, Wochenzeitungen und Nachrichtenmagazine sowie vor allem individualisierte Onlineangebote wie Twitter, RSS-Feeds, Apps und E-Mail-Newsletter von Nachrichtenanbietern. Radioangebote werden unterdurchschnittlich genutzt. Diese Gruppe weist mit mehr als drei Stunden täglich die weitaus höchste Internetnutzungsdauer auf, während die Nutzungsdauern der anderen Medien in etwa dem Durchschnitt entsprechen. … Das Interesse am Regionalen ist in dieser Gruppe niedriger als in allen anderen Gruppen. Es ist die mit Abstand jüngste Gruppe, die unter 30-Jährigen sind klar überrepräsentiert. Außerdem handelt es sich zu mehr als drei Vierteln um Männer. Die Bildung ist überdurchschnittlich.

d. Die „konventionell Regionalinteressierten“ bilden mit einem Drittel die größte Gruppe. „Das leicht unterdurchschnittlich breite Informationsrepertoire ist geprägt durch Fernseh- und Radionachrichten, regionale Tageszeitungen, Anzeigenblätter und Illustrierte – diese Angebote werden von dieser Gruppe häufiger genutzt als von allen anderen Gruppen. Auf der anderen Seite werden sämtliche Onlineangebote nur sehr selten oder nie genutzt. Diese Gruppe liest am längsten Zeitung, auch die Radionutzung ist deutlich überdurchschnittlich.“ Diese Gruppe ist relativ alt mit relativ niedrigem Bildungsniveau.

e. Die Gruppe der „Radiohörer“ ist stark auf das Radio fixiert. „Sowohl die Nachrichten in normalen Radioprogrammen als auch die speziellen Informationswellen werden in dieser Gruppe am häufigsten genutzt; dasselbe gilt für die Onlineangebote von Hörfunkveranstaltern. Dagegen werden die Informationsangebote des Fernsehens sowie regionale Tageszeitungen und Boulevardzeitungen vergleichsweise selten genutzt. Die Gruppe ist relativ „männlich“ und unterschiedet sich in Bildung und Alter nicht von der Gesamtbevölkerung.

f. Die letzte Gruppe bilden die „Infotainment-Orientierten“. Hier dominieren Reality-TV, Serien und Boulevardmagazine. Regionale Presse spielt keine Rolle. Das Internet wird knapp unterdurchschnittlich genutzt. Das Interesse fokussiert sich auf Regionales und Deutschland. Das Weltgeschen ist eher selten von Belang. „Am augenfälligsten ist, dass drei Viertel in dieser Gruppe Frauen sind.“
Eine Detailanalyse dieser Nutzertypen ist n der Tat aufschlussreich, sprengt aber den Rahmen dieses Postings. Wer eine zielgruppenadäquate Information über einen spezifischen Medien-Mix realisieren will, kommt an einer Typologie der Medienrezipienten nicht vorbei. Die vom Hans-Bredow-Institut gewählte ist eine sinnvolle Ausgangsbasis – trotz der Beschränkung auf das Instrument der Selbsteinschätzung einer Relevanzpyramide der Medien.

Was ist nun von dieser Studie zu halten und festzuhalten?

1. Internetnutzung ist nicht nur – aber besonders – eine Frage des Alters: „Betrachtet man nur die jüngere Generation der 14- bis 29-Jährigen, dann zeigen sich einerseits deutliche Verschiebungen, andererseits aber auch weitreichende strukturelle Ähnlichkeiten. … In dieser Gruppe [steht] auf die allgemeine Frage nach der wichtigsten Informationsquelle das Internet mit 33 Prozent der Nennungen klar an erster Stelle vor dem Fernsehen (25%), der Zeitung (20%) und dem Radio (11%). Interessant ist nun aber, dass in den konkreteren Informationsszenarien das Internet nicht an erster Stelle steht. Wie auch in der Gesamtgruppe, entfallen bei Informationen zur politischen Meinungsbildung, zum Weltgeschehen sowie zu Deutschland die meisten Nennungen auf das Fernsehen, bei regionalen Informationen auf die Zeitung.“ Die Macher der Studie schließen hieraus, „dass das Internet in dieser Gruppe offensichtlich das Image des wichtigsten Mediums hat, dass aber gleichwohl dann, wenn es um konkrete Informationsbedürfnisse geht, nach wie vor andere Medien im Vordergrund stehen.“

Ich halte dies für falsch: diese Differenz kann durchaus auch so interpretiert werden, dass das Marken-Image der klassischen Medien in der Zielgruppe noch immer eine Relevanz suggeriert, die faktisch schon nicht mehr gegeben ist. Man glaubt noch immer sich an der Tagesschau zu orientieren (weiol das immer so war), wobei man faktisch sein Medienverhalten schon lange geändert hat. Hier kommt aber eine Schwäche – nein: eine Begrenztheit der Studie zum Tragen: sie misst nicht tatsächliches Informationsverhalten, sondern im Rahmen einer Selbsteinschätzung zugeschriebene Medienrelevanz. Und sie bewertet auch nicht den Prozess der Meinungsbildung von Agenda Setting bis zur Überzeugung.

2. Die Nutzer sozialer Medien gehören zum guten Teil auch zu den intensiven und leidenschaftlichen Lesern überregionaler Tageszeitungen. Eine Verschiebung zwischen diesen Medienkategorien mag es aber im Laufe der Zeit (Stichwort: Generationen-Medium) geben.

3. Das Radio braucht keine Angst um seine Zuhörer zu haben. Es verfügt über ein Stammpublikum, das sich aus allen Generationen zusammensetzt. Eine Kannibalisierung durch das Internet findet kaum statt.

4. Das Internet ist sozialer, als man denkt: es ist das führende Peer-Medium – ganz anders als das Fernsehen. Das sollten sich nicht nur die web-kritischen Medienpädagogen zu Herzen nehmen.

5. Das Internet ist in Sachen Information noch lange kein Regionalmedium.

6. Die Angleichung von Frau und Mann hat zumindest im Segment der Infotainment-Orientierten keine wirklichen Fortschritte gemacht.

Noch einmal: Die Studie „Informationsrepertoires der deutschen Bevölkerung“ des Berliner Hans-Bredow-Instituts ist eine Pflichtlektüre für Medienschaffende und Kommunikationsexperten. Der von ihr beschrittene Weg einer Analyse von „Informationsrepertoires“ ist ebenso vielversprechend, wie eine Clusterung der Rezipienten in Typen notwendig ist. Eine Konfrontation der Ergebnisse und Hypothesen mit harten statistischen Messdaten zum Mediennutzungsverhalten und mit Studien, die die unterschiedlichen Rollen der Medien im Diffussionprozess von Informationen und im Meinungsbildungsprozess der Rezipienten analysieren, ist erforderlich.

5 Kommentare
  1. Avatar
    Jan Schmidt says:

    Danke für die ausführliche Auseinandersetzung mit unserer Studie – nur eine kurze Korrektur: Wir sind ein Hamburger Institut, schon seit unserer Gründung 1950… 😉

  2. Avatar
    Gabor Paal says:

    Das Marken-Image ist nicht das einzige methodische Problem bei solchen Studien, wobei diese immer noch besser scheint als manche andere

    https://www.wissenschaft-medien.com/blm-studie_meinungsbildung_.html

    Hinzu kommt, dass aus journalistischer Sicht die Trennung in Internet vs. Radio/Fernsehen/Zeitung unsinnig ist, da ja auch eine Meinungsbildung im Internet vielfach anhand von Radio/Fernsehen/Zeitungs-generierten Inhalten erfolgt. Anders gesagt: Ein Radiobeitrag trägt auch dann zur Meinungsbildung bei, wenn der Text auf tagesschau.de oder in der tagesschau-app zu lesen ist. Außer acht gelassen wird auch, dass etwa Tageszeitungsbeiträge – mehr als andere? – indirekt zur Meinungsbildung beitragen, weil sie von Radio-/Fernsehjournalisten gelesen werden und somit eine Folgeberichterstattung anstoßen. Ich weiß gar nicht, ob diese wechselseitigen Einflüsse überhaupt schon mal untersucht wurden?
    Viele Grüße!

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    Michael Kausch says:

    @Gabor Paal
    Ich halte die Trennung zwischen Rundfunk bzw. Zeitung und Internet in dieser Studie durchaus für sinnvoll, denn es geht ja hier nicht darum, WER den Inhalt definiert und erarbeitet, sondern WIE der Rezipient den Inhalt aufnimmt. Die Sender und Verlage sind heute eben immer auch zugleich Online-Anbieter. Dieses WIE (das Medium) bestimmt ja auch zu einem Teil die Art der Verarbeitung und die Rezeptionssituation. Ein im Internet abgerufener Radio-Beitrag etwa wird wohl immer bewusst aufgenommen und immer mit einer vorgegebenen Erwartungshaltung. Es geht ihm sowohl das Überraschende ab (das Radio fliesst ja im bekannten Bild wie das Wasser aus einem Wasserhahn), als auch die Gefahr des bloß nebenbei Gehörten.

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    Michael Kausch says:

    @Jan Schmidt Die Verwechslung von Hamburg und Berlin tut mir doppelt leid: zum einen weil immer alles nur noch nach Berlin guckt und zum anderen weil mir das auch noch bei einem Institut geschieht, das offenbar ein ordentliches Online Monitoring betreibt 😉 Entschuldigung!

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    Jan Schmidt says:

    @Michael: Kein Problem 🙂

    @Gabor: Das sind in der Tat wichtige Einschränkungen; allerdings zeigt sich meines Erachtens, dass für viele Befragte die Unterscheidung von massenmedialen „Kanälen“ (TV vs. Print vs. Internet etc.) durchaus noch präsent ist, selbst wenn durch crossmediale Aktivitäten vieler Redaktionen eine klare Trennung nicht immer gut möglich ist. Und wo uns aus den offenen Antworten nicht klar ersichtlich war, ob z.B. ein Print- oder Online-Angebot einer Zeitung o.ä. gemeint war, haben wir uns auf die Markenebene beschränkt.

    Den Informationsfluss innerhalb des Journalismus (Stichwort etwa: journalistische Koorientierung) haben wir nicht in den Blick bekommen mit der Studie; wir haben dafür in der Studie noch Informationen zur interpersonalen Kommunikation auf Nutzerseite und zur Meinungsführerschaft, die in dieser Auswertung nicht enthalten sind. Hier wird es in den kommenden Monaten noch vertiefende Auswertungen geben.

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