Bewegung in der Medienlandschaft: Neue Gattung „High-end“-Newsletter

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Mann hält brennende Zeitung im Querformat vor das Gesicht.

SZ, Tagespiegel, FAZ, Springer sowie die Publishing-Promis Gabor Steingart und Sebastian Turner sind dabei, eine neue Mediengatttung zu etablieren: Die von mir sogenannten High-end-Newsletter. Sie sollen exklusive Informationen aus den Vor- und Hinterzimmern der Macht und der Mächtigen bieten, für eine Zielgruppe, die bereit ist, dafür viel zu bezahlen. Wenn man als PR-Verantwortliche/r davon ausgeht, dass es sich dabei um wichtige Entscheider in Wirtschaft und Politik handelt, sind das neue Zielmedien, die erreicht werden müssen. Deshalb ist folgender Beitrag auch etwas länger geworden.

tl;dr: Mit den High-end-Zielgruppen wollen sich Verlagsunternehmen und Verlegerpersönlichkeiten neue Einnahmequellen in der Zielgruppe der Top-Entscheider erschließen, die sich teure Firmen- oder Behördenabos leisten können. Für die Presse- und Medienarbeit bedeutet der Journalismus, der abseits des Zeitschriftenkiosk und von öffentlich zugänglichen Online-Plattformen stattfindet, neue Herausforderungen.

Die Abwärtsspirale der klassischen Medien

Nachdem die Medienlandschaft drei Jahrhunderte von Zeitungen und Zeitschriften sowie ein Jahrhundert von linearem Radio und Fernsehen dominiert wurde, trifft sie der Wandel durch Digitalisierung und Internet wie viele andere Branchen auch. Brach Ende des letzten Jahrtausends noch Goldgräberstimmung aus und die Zahl der gedruckten Seiten erhöhte sich im sogenannten Dotcom-Boom, der ersten Internet-Blase, rasant, regiert nun Katzenjammer bei Verlagen und Verlegern, Journalisten und Publishern. Auch Netflix, Spotify und Co. fordern ihren Tribut bei den Einschaltquoten von Fernseh- und Hörfunksendern mit linearem Programm.

Ein Katzenjammer, der trotz KI und ihren Heilsversprechen, auch die PR-Branche trifft. Insbesondere da, wo man sich primär als erklärender Mittler zwischen Herstellern und Journalisten verstand, fehlen zunehmend die Journalisten. „Der Verlag hat mich freigestellt, Nachfolger kenne ich nicht.“ Ein Blick in die Datenbank zeigt, dass es für die Fachpublikation auch kein zweites Redaktionsmitglied gibt, lediglich ein Anzeigenleiter und Verlagsleiter werden noch angegeben. Ist das noch ernst zu nehmender oder gar wichtiger Journalismus?

Das, was man in Sonntagsreden der Verleger und Chefredakteure hört, ist doch nur noch blanke Theorie: Verstehen, Einordnen, Übersetzen, Bewerten. Selbst etablierte Medienhäuser tun sich abseits der nationalen Polit-Berichterstattung schwer damit und erst recht die kleinen Fachredaktionen trifft es besonders hart. Die Möglichkeit der Direktvermarktung der Produkte im Internet, sowohl von Konsum- als auch von Investitionsgütern, sind nahezu unendlich, so dass viele große und sehr große Werbekunden auf die Verlage und ihre Medien als Publikationsplattformen nicht mehr angewiesen sind. Die Anzeigen-Auflagen-Spirale kennt nur noch eine Richtung: abwärts.

Werbefinanzierter Journalismus hat es immer schwerer

Vor dem Hintergrund suchen Verlage und private Sendeanstalten verzweifelt nach neuen Einnahmequellen: Sei es als Seminar- und Event-Anbieter, Investitionen in Online-Shops, Dating-Plattformen oder gleich Beteiligungen an Herstellern von Produkten, die man dann wieder auf den eigenen Kanälen vermarkten kann. Innovationen im Kerngeschäft sind eher selten und fallen auch meistens in die Kategorie „klingt gut“ in Sonntagsreden, auf Journalismus-Festivals oder Barcamps. Sie überleben oft kaum den Praxistest oder müssen zum Überleben zusätzliche Spenden bei ihren Abonnenten einsammeln. Die Gleichung des werbefinanzierten Journalismus, dass sich Werbe- und Abokunden die Finanzierung teilen, geht nicht mehr auf, wenn eine der beiden Seiten nicht mehr liefert.

Investitionen gegen den Abwärtstrend: High-end-Newsletter

Deshalb bin ich umso gespannter, was aus dem derzeitigen Aufbruch der Medienbranche Richtung High-end-Newsletter wird – und welche Auswirkung dieser Trend für PR-Schaffende hat. Wir sind zwar hier kein kommunikationswissenschaftlicher Blog, dennoch muss erstmal geklärt werden über was wir gleich reden werden: Gemeint ist nicht der Standard-Newsletter wie ihn jede bessere Tageszeitung anbietet, der quasi eine kommentierte Link-Sammlung auf die mindestens täglich aktualisierten Online-Inhalte dieser Zeitung bietet. Diese gibt es zu unterschiedlichen Themen und in unterschiedlicher Ausprägung wie Sand am Meer: morgens, mittags, abends. Der Berliner Tagesspiegel ist für seinen Berlin-Newsletter „Checkpoint“ mehrfach ausgezeichnet worden und spielt seine lokale Kompetenz jetzt in Stadtteil-Newslettern aus. Die Süddeutsche Zeitung bietet sogar einen wöchentlichen Österreich-Newsletter und so weiter. Meistens ist das nicht personalisierte Abo dieser Newsletter kostenlos. Mittlerweile oft auch nutzlos, wie bei der Süddeutschen, wo die Links zunehmend auf die Paywall führen – was aber natürlich aus Verlagssicht nachvollziehbar ist, schließlich will man zahlende Abonnenten für die (Online-) Zeitungsinhalte gewinnen.

Firmen statt Privatleute als Abonnenten

Die von mir sogenannten High-end-Newsletter fangen gleich anders an und starten mit Abogebühren in niedriger dreistelliger Summe pro Monat (!), verglichen mit dem billigsten Digitalabo der Süddeutschen Zeitung von 99 Euro pro Jahr (2023). Aber ihre Zielgruppe ist auch nicht der gemeine Zeitungsleser. „Staatssekretäre, Lobbyisten und hochrangige Führungskräfte in der Wirtschaft“, nennt Florian Eder, der Leiter von „SZ Dossiers“, so wurde der High-end-Newsletter getauft, diese „recht eng zugeschnittene Gruppe“ im Gespräch mit der dpa.

In Etagen also, in denen es, anders als bei Otto Normalzeitungleser/in, scheinbar noch Geld zu holen gibt. Was spielen 1.500 Euro Abokosten pro Jahr schon für eine Rolle, wenn man damit den Wissensvorsprung erhält, der ein Millionen- oder gar Milliardengeschäft sichert oder die nächste Wiederwahl. Natürlich ist auch der Süddeutsche Verlag nicht als einziger auf die Idee mit den High-End-Newslettern gekommen. Der Tagesspiegel aus Berlin nennt sie „Background“ und bietet sie zu 8 verschiedenen Themenbereichen an (teilweise ergänzt um ein noch tieferes „Monitoring“ Letzteres informiert nach eigenen Angaben aus der Entscheidungsfindung auf Referentenebene in Ministerien und Behörden). Die Vermarktungsidee dürfte sich kaum von der bei der Süddeutschen unterscheiden.

Notwendige Infoflut oder Überforderung: teure High-end-Newsletter im Posteingang. Pro-Tipp: viele Newsletter lassen sich als Kurzfassung dauerhaft kostenlos abonnieren, kostenlose Probeabos der Vollversionen gibt es fast bei allen. (Quellen: E-Mails von Tagesspiegel, Table Media, Frankfurter Allgemeine Zeitung, The Pioneer, Süddeutsche Zeitung)

Verlage im High-end-Newsletter-Geschäft: SZ, FAZ, Springer

Einen interessanten Schachzug hat die FAZ hingelegt: Sie holte ihren langjährigen Technologiewirtschaftsredakteur zurück in den Verlag, um ins Geschäft mit den Top-Entscheidern einzusteigen (und ihr Angebot an über 20-FAZ-Newslettern noch oben abzurunden). Holger Schmidt betreute lange Jahre Technologiethemen für den Wirtschaftsteil der FAZ, wechselte dann zu Focus, um sich nach einem vergleichsweise kurzen Gastspiel dort selbstständig zu machen. Durch seine profunde Marktkenntnis und seine vielfältigen Kontakte blieb er eine gerne genutzte Quelle auf LinkedIn und reüssierte als freiberuflicher Berater und Dozent.

Seine Followerschaft auf LinkedIn nutzte er dann, um sich mit einem LinkedIn Newsletter weiter zu profilieren, immer nahe dran an den trendigen Technologiethemen und immer einen Gedanken oder eine Infografik weiter als andere, insbesondere als Medien. Diese Entwicklung scheint auch der FAZ nicht entgangen zu sein, so dass sie Schmidt als High-end-Newsletter-Chef in den Verlag zurückholten. Er vermarktet seinen Newsletter als „D:Economy“ nun auch über die FAZ mit dem Zusatz „Pro“. Noch ist er aber auch kostenlos über LinkedIn zu erhalten. Sein Newsletter zur digitalen Wirtschaft in Deutschland soll dabei natürlich nicht der Einzige „Pro-Newsletter“ bleiben. Ich bin sehr gespannt, ob ein High-end-Newsletter von einer Tageszeitungsredaktion ebenso erfolgreich sein kann wie der eines reputationsstarken und profilierten Einzelkämpfers.

Verleger und ihre Newsletter-Projekte

Ein anderer umtriebiger Medienmann versucht es ohne Verlagshintergrund: Sebastian Turner mit table.media. Ohne eine Tageszeitung als starke Marke im Rücken setzt er rein auf das High-end-Newsletter-Geschäft mit 10 Themennewslettern. Hier wird die spannende Frage sein, ob er ohne die Strahlkraft eines großen Mediennamens ausreichend Aufmerksamkeit in den Entscheideretagen erreichen wird, um Abobeträge in einer Größenordnung abzurufen, die ein profitables Geschäftsmodell ermöglichen.

Wenn auch kein Verlagshaus, so nennt Gabor Steingart, Ex-Handelsblatt, zumindest ein prominentes Schiff sein eigen, die „Pioneer One“. Mit ihr will er auch auf der Erfolgswelle der „Briefings“ genannten Newsletter segeln. Allerdings sind die Newsletter ja praktisch das Medium und so verschwimmt hier die Grenze zwischen Medium, Newsletter und High-end-Briefing. Ergänzend bietet „The Pioneer“ noch zehn verschiedene Podcasts für das normale Briefing, kostenlos als Economy Edition. Wer informativ höher fliegen will, muss Business Class buchen: für 25 Euro pro Monat, ein überschaubarer Betrag. Das Doppelte kostet es, wenn man Pioneer werden will, dann bekommt auch Zutritt auf Veranstaltungen auf dem Schiff und eine Sammlung von Infografiken. Als Supporter muss man allerdings 850 Euro bezahlen. Mit diesem Betrag unterstützt man Gabor Steingart bei seiner „journalistischen Mission“, bekommt VIP-Angebote auf dem Schiff und mit den Journalisten von The Pioneer sowie ein Aktienvorkaufsrecht, falls eine Privatplatzierung ansteht. Steingart setzt also auf ein Netz an Angeboten, inklusive Networking im Berliner Polit-Dschungel, statt auf exklusive, teure High-end-Newsletter.

Politico: Springers 800-Millionen-Euro-Wette auf Newsletter

Am 19. Februar 2024 geht es mit dem Berlin Playbook, dem Politik-Newsletter für Deutschland, von Politico los. Hier die Einladung von Gordon Repinski, Executive Editor, früher The Pioneer. (Quelle: Mail von Politico)

Viel beachtet war der Kauf von Politico durch den Axel Springer Verlag im August 2021 für 881 Millionen Euro, davon 31,3 Millionen für das Europa-Geschäft – die größte Akquisition, die Springer jemals tätigte. Politico ist in den USA der führende Anbieter von Polit-Newslettern für die High-end-Zielgruppe. Ich zählte Stand November 2023 knapp 50 Newsletter zu verschiedensten Themen und Branchen (die SZ nennt in ihrem Artikel über den Verkaufsabschluss, meines Erachtens allerdings wenig glaubwürdig, 2.500 Newsletter): von generellen politischen Nachrichten morgens und abends, speziellen Newslettern über Neuigkeiten aus dem Weißen Haus oder Capitol, Branchen-Newsletter für Bildungs- und Gesundheitswesen, Pharmazie, Klima, Verkehr, Landwirtschaft, Steuern, IT-Sicherheit usw. Ergänzt wird das umfangreiche Angebot von Newslettern für einzelne Bundesstaaten, bedeutendere wie New York oder Kalifornien bekommen sogar mehrere themenspezifische Ausgaben.

Für seine sogenannten Playbooks berichtet Politico selbst über 130.000 Abos für sein Brüssel-Playbook, 90.000 für sein London-Playbook und 40.000 für sein Paris-Playbook. Erste „Playbooks“ für Deutschland sind für 2024 geplant. Playbooks sind übrigens nach den Büchern benannt, in denen US-Football-Mannschaften ihre Spielzüge aufschreiben. Ob der Spielzug des Springer-Verlags aufgeht, muss sich zeigen: Um die Attraktivität der Newsletter mit exklusiven Infos aus den Schaltzentralen der Macht dauerhaft zu erhalten, bedarf es eines hohen personellen Aufwands; alleine in Brüssel sollen laut Süddeutscher Zeitung 60 Journalisten für Politico arbeiten. Das dürfte kein anderes Medium aus Europa schaffen. Für Europa insgesamt sollen es im Oktober 2021 200 Journalisten gewesen sein, schrieb die SZ damals.

Vierstellige Abo-Preise bei Politico und Wachstumsdruck

Allerdings nimmt Politico auch satte Preise, wie der Spiegel in seinem Artikel zur Akquisition berichtet: 7.000 Euro pro Jahr sollen demnach für „Politico Pro“ fällig sein – Abo-Preise von denen die klassischen deutschen Tageszeitungen nur träumen können. Ob der Plan von Axel Springer CEO Mathias Döpfner aufgeht, wird sich erst noch zeigen: Angeblich werde Politico mit einer Marge von 30 Prozent betrieben, so der Spiegel. Laut Branchendienst kress sagen Experten für Firmenübernahmen (M&A), dass trotzdem ein jährliches Wachstum von 30 bis 50 Prozent erzielt werden muss, um den Kaufpreis wieder einzuspielen.

Wahrscheinlich deshalb setzt Politico auf erfahrene Journalisten, die es gewohnt sind, unkonventionelle Projekte zu stemmen. Das „Berlin Playbook“ von Politico wird von Gordon Repinski geleitet, der von Gabor Steingarts The Pioneer kommt, wo er als stellvertretender Chefredakteur fungierte. Im Hintergrund dürfte bei der Personalie nicht unwesentlich gewesen sein, dass der Axel Springer Verlag auch Anteile an Media Pioneer hält, der Firma im Hintergrund von Gabor Steingarts Medium The Pioneer. Tatsächlich ist auch die konkrete Zusammenarbeit geplant, etwa bei Podcasts und Newslettern.

Attraktiv auch für PR-Schaffende

Nachdem wir uns jetzt den Überblick über das bestehende und geplante Angebot an High-end-Newslettern verschafft haben, folgt nun die spannende Frage, warum es für PR-Schaffende wichtig ist, sich mit dieser aktuellen Entwicklung am Medienmarkt intensiv zu beschäftigen: Ich denke, eher früher als später wird sich in den Chef-, Vertriebs- und Marketingetagen die Frage breitmachen, warum das eigene Unternehmen in High-end-Newslettern zu Themen wie Künstliche Intelligenz, Nachhaltigkeit und Klima, Energie, Bildung, Gesundheitswesen Mobilität etc. nicht vertreten ist. Denn man wird sehr schnell erkennen, dass die Zielgruppe der Newsletter – Top-Entscheider in Wirtschaft, Behörden, Organisationen und Politik – die sogenannten Markenentscheider bei Investitionsgütern sind, also diejenigen, die danach kaufen, ob ihnen eine Marke in Zusammenhang mit einem Thema bekannt ist (verkürzt gesagt). Traditionelle tagesaktuelle Medien werden es immer schwerer haben, mit ihrem generalistischen Angebot, das wenig in die Tiefe geht und online zudem Klicks erzeugen muss, diese Zielgruppe zu erreichen.

Die Zielgruppen der High-end-Newsletter

Hier kann die Zielgruppe ihre Lesezeiten vorausplanen. Table Media gibt genau an, wann welcher Newsletter erscheint. (Quelle: Webseite Table Media)

Ich gehe davon aus, dass sich die oben genannten Spieler im Markt für High-end-Newsletter ihre Zielgruppen genau angesehen haben, leider liegen mir diese Studien nicht vor, deshalb einige Vermutungen (um nicht zu sagen Klischees):

  • Hochmobil: Das heißt, die Papierzeitung mit Zustelladresse hat sowieso ausgedient; App oder Website sind eine schöne Ergänzung – aber E-Mail ist immer noch das vorherrschende und gelernte Kommunikationsmittel. Zudem lassen sich heruntergeladene Mails ohne Internet-Verbindung auch lesen, etwa im Zug oder Flugzeug.
  • Wenig Zeit: Das heißt, der generalistische Ansatz eines tagesaktuellen Mediums stiehlt Zeit – von Feuilleton bis Sport – das geschäftlich Relevante selbst herauszufiltern, dauert zu lange.
  • Thematisch fokussiert: Wenn ich ein Thema habe, das für mein Unternehmen oder meine Kunden wichtig ist, soll das fokussiert vorliegen. (Der Tagesspiegel Background bietet z.B. sogar eine Presseschau an, also einen „Filter-Service“ auch für Medien der Konkurrenz.)
  • Hinterzimmer ist wichtig, statt Verlautbarungsjournalismus: D.h. Entscheider wollen nicht erst über die Pressekonferenz auf Phoenix oder n-tv erfahren, dass eine Entscheidung gefallen ist. Sie wollen im Vorfeld erfahren, wer an der Entscheidungsfindung beteiligt ist, in welche Richtung die Entscheidungsfindung läuft und sich rechtzeitig, also schneller als der Wettbewerb, auf Entscheidungen einstellen können. Es wird also für Redaktionen die Herausforderung sein, so gute Kontakte aufzubauen, dass sie diese wichtigen Einblicke bekommen. Politico scheint das ja in den USA sehr gut vorzumachen.
  • Apropos Hinterzimmer: Einige der genannten Medien bieten auch Veranstaltungen an, zu denen sie zum halböffentlichen Stelldichein zwischen Newsletter-Empfängern und wichtigen Akteuren aus Politik, Wirtschaft und (Lobby-) Verbänden einladen. Die VIP-Business-Networkings sind sozusagen ein monetarisierbares Abfallprodukt aus den oben genannten vermuteten Bedürfnissen. Wie schon geschrieben, lassen sich die Herausgeber ihre Kontakte mit Pro-, Business- oder VIP-„Mitgliedschaften“ zusätzlich vergolden.
  • Die Grenze zwischen „informiert sein wollen“ und „beeinflussen wollen“, also Lobbyismus, scheint hier leichter zu überschreiten sein, dadurch, dass man den institutionalisierten Verlautbarungsjournalismus verlässt. Hinterzimmer sind intransparenter als Pressekonferenzen. Da funktioniert das „ich weiß etwas, was du nicht weißt“-Spiel viel leichter.

(Den Exkurs, was dieser „Deep Journalism“, wie in Table Media nennt, für eine demokratische Gesellschaft bedeutet, spare ich mir an der Stelle; wenn „Hinterzimmer-Informationen“ nicht das ganze Licht der Öffentlichkeit erblicken, sondern nur einer kräftig zahlenden Empfängerschaft vorbehalten bleiben… Gibt es beispielsweise überhaupt Interesse der Newsletter-Redakteure, aufklärerisch tätig zu werden, wenn ein Konzern über Firmenabos Tausende von Euro zahlt oder wenn die kritische Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr erreicht wird, weil man ja in der „Experten-Entscheider-Blase“ unter sich ist.)

Die exklusiven High-end-Newsletter verändern den Umgang zwischen Informationsträger und Redaktionen, Medienschaffenden und PR-Leuten. Sozial und institutionell eingespielte Vorgehensweisen müssen sich dem anpassen. Nur um ein paar Beispiele zu nennen:

Umdenken in der PR-Welt erforderlich

Absolute Quelle der Wahrheit, was Kontakte betraf, war bisher das Impressum. Im Zweifelsfall kaufte man ein Zeitungs- oder Zeitschriftenexemplar und sah im Kleingedruckten nach, welcher Redakteur für was verantwortlich zeichnet. Wenn ich nun aber den Newsletter gar nicht bekomme, weil er nur elektronisch erscheint und so teuer ist, dass er für mich oder mein Unternehmen unbezahlbar ist. Die sogenannte „Verteilerpflege“ kann hier nur auf Umwegen erfolgen: Ein Kunde überlässt mir ein Exemplar, ich kenne jemanden, der mir sein Exemplar weiterleitet oder ich muss ein Probeabo abschließen. Alles machbar, aber alles mühsamer als bisher. Deshalb die Frage: listet der berühmte Zimpel zukünftig auch Redakteure von Politicio, SZ Dossier, table.media, Tagesspiegel Background? Das wäre natürlich wünschenswert.

Wenn wir denn nun den Kontakt zum Redakteur etabliert, eine Beziehung für oder mit unserem Auftraggeber und der Redaktion aufgebaut haben, wie erfahren wir dann, ob wir erfolgreich waren? Wir können als Agentur kaum alle teuren Newsletter abonnieren. Deshalb richtet sich die Frage an die Clipping-Services wie Landau oder Argus – werden dort auch die oben genannten High-end-Newsletter gescreent, oder wie kommen wir an den Erfolgsnachweis, das Clipping?

Und schließlich: PR-Kunden sind trotz „digital first“ oft noch im Zeitalter der hohen Printauflagen verhaftet, das heißt, nur hohe Reichweite (früher am besten gedruckte Exemplare) zählt. Schwer zu messende Qualität, also wenige Abonnenten, dafür aber die korrekte Zielgruppe getroffen, wird nur wenig gewürdigt. Hier ist auch die Frage, welche Zahlen stellen die Newsletter-Anbieter für Werbetreibende und PR-Schaffende bereit, um Kunden nachzuweisen, dass sie hier richtig sind.

tl;dr: hoher Einsatz, den nicht alle High-end-Newsletter überleben werden, denn: wer soll das alles lesen?

Fazit meines langen Ausritts in die neue Medienwelt der High-end-Newsletter: Eine neue Mediengattung wird mit hohem Einsatz von Verlagen (Süddeutsche Zeitung „Dossier“, Frankfurter Allgemeine Zeitung „D:Economy“, Tagesspiegel „Background“, Springer Verlag „Politico“) und persönlichem Engagement von Verlegern (Gabor Steingart „The Pioneer“, Sebastian Turner „Table Media“) ausprobiert. Die Konkurrenz ist groß, die Zielgruppen sind klein, aber anspruchsvoll und zahlungskräftig. Nach ein paar kostenlosen Testabos kann ich jetzt schon feststellen, dass eine der Hauptfragen sein wird: Wer soll das alles lesen? Mit zwei High-end-Newslettern und einem Politik-Monitoring kann ich mich locker drei Stunden beschäftigen. Wenn ich die aufgenommenen Informationen dann alle noch in mein Tagesgeschäft einbringen soll, werde ich, zumindest für meinen Tagesablauf, von Newslettern dominiert. Folglich wird die Frage sein, wer sich am Markt behaupten kann. Große Chancen räume ich Steingart ein, der frühzeitig mit unkonventionellem Journalismus, Multimedialität und seinem guten Namen etwas Neues gewagt hat – allerdings würde ich ihn nur mit einem kleineren Teil seines Angebots zu der Gattung „High-end-Newsletter“ zählen. Politico dürfte auch ziemlich gesetzt sein, da Springer einen langen finanziellen Atem hat, Vorstandschef Döpfner den Wert seiner Investition beweisen muss und durch die Politico-Historie in den USA und in Brüssel bereits eine Vielzahl von national relevanten Informationsquellen angezapft sein dürfte. Da stellt sich schon die Frage, ob die altehrwürdige Süddeutsche Zeitung mit ihren Dossiers nachziehen kann, auch wenn sie möglicherweise von der guten Vernetzung der Hauptredaktion profitiert. Noch tief in den Startlöchern scheint die FAZ zu sein, hier lässt sich außer der prominenten Besetzung des ersten Newsletters noch nicht viel sagen. Auch ist wenig darüber zu lesen, wie es Sebastian Turner und seinem Table Media geht. Es bleibt also abzuwarten, wer den längsten Atem hat und am meisten bei der Zielgruppe punktet. Ich kann mir kaum vorstellen, dass alle Angebote überleben.

AKTUALISIERUNG am 22.2.24: Weitere Einblicke in Politico und das Berlin Playbook geben der Chefredakteur und Geschäftsleiter für Deutschland, Gordon Repinski und Cecil von Busse, im Interview mit Horizonte. Das Interview bestätigt im Wesentlichen meine Einschätzungen.

AKTUALISIERUNG am 21.2.24: Nach einem freundlichen Hinweis den Tagesspiegel Background richtig geschrieben. Vorher war er teilweise fehlerhaft als Backgrounder bezeichnet. Tut mir leid.

Titelfoto: Foto von Nijwam Swargiary auf Unsplash

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