Stochern im Nebel: Reichweiten der digitalen Zeitungsangebote

Eine neblige Straße durch einen herbstlichen Wald

Zeitunglesen ist für viele längst mehr als Informationsaufnahme – es ist Gewohnheit, manchmal sogar Genuss. Ob digital, mobil oder gedruckt, Medienhäuser buhlen auf allen Plattformen um Aufmerksamkeit. Doch wo erzielen sie tatsächlich die größte Reichweite?

Von Print zu Pixel: Wie sich das Leseverhalten verändert

Im vergangenen Jahrzehnt stieg die Anzahl der Leserinnen und Leser der Digitalangebote, während die der analogen Nutzung weiter sank. Der Kipppunkt war 2024 erreicht. Erstmals wurden mehr Zeitungen und Magazine digital statt auf Papier gelesen, so eine Schätzung von Statista. Dabei besteht die Konkurrenz nicht nur zwischen digital und analog. Die Inhalte der klassischen Tages- und Wochenzeitungen werden über immer mehr Kanäle verbreitet wie zum Beispiel via Webseite, E-Paper, Apps, Newsletter, Podcasts und gegebenenfalls sogar Videos.

Übersicht über das Angebot der Tageszeitung FAZ im Bereich digitaler Kanäle.

Fehlende Zahlen bei neuen Kanälen

2001 wurde in Deutschland das erste E-Paper veröffentlicht. Ab den frühen 2010er Jahren folgten die passenden Apps zu den Tageszeitungen. Und die kommen gut an, oder? Während die Zahlen zur Reichweite von gedruckten Zeitungen und dem Online-Pendant vergleichsweise gut in Statistiken einzusehen sind, greift man auf der Suche nach Zahlen zur Reichweite von Webseite, Apps, Newsletter, Podcasts und Videos ins Leere. Aber warum? Sind die Zahlen etwa nicht gut genug, um sie zu veröffentlichen?

Nutzung digitaler Inhalte ist messbar

Einen kleinen Anhaltspunkt bieten die Downloads im App-Store. Zum Vergleich: Der „Tagesspiegel“ hat derzeit im Apple App-Store 14.800 Downloads, die „SZ“ 61.755 und „Der Spiegel“ setzt sich mit 127.456 Downloads an die Spitze. Dennoch lassen diese Zahlen viel Raum für Spekulationen. Neben der Tatsache, dass manche der Tages- und Wochenzeitungen nicht nur eine App, sondern gleich mehrere für verschiedene Rubriken haben, bleiben auch Fragen offen wie diese: Wer hat die App nur heruntergeladen und lässt sie jetzt auf der zweiten Seite des Smartphones verstauben? Wer nutzt sie wirklich regelmäßig und wer hat sogar Push-Nachrichten aktiviert? Wie lange haben Leser die Inhalte der App aktiv genutzt? Welche Kategorien innerhalb der App interessieren die Nutzer am meisten? Im Gegensatz zur Print-Ausgabe, bei der man nur schwer nachvollziehen kann, wer was wie lange gelesen hat, sollten sich diese Zahlen im Digitalen eigentlich verhältnismäßig leicht ermitteln lassen. Es ist also davon auszugehen, dass sie vorliegen, aber nicht veröffentlicht werden.

Smartphone in einer Hand. Auf dem Bildschirm ist eine Glühbirne in der ein Fragezeichen steht.

In welche Richtung steuert der Journalismus?

Durch fehlende Angaben kann man daher nur rätseln, wie gut Artikel auf den Apps performen. Auch zu Kanälen wie dem Newsletter findet man kaum Angaben. Was allerdings feststeht: Die junge Zielgruppe fühlt sich von digitalen Angeboten angezogen. 63,3 Prozent der 14- bis 29-jährigen nutzen digitale Zeitungsangebote, so der BDZV.

Dass die junge Zielgruppe auf das digitale Zeitungsangebot anspringt, ist erfreulich, bereitet manchen Nutzerinnen und Nutzern allerdings auch Sorge, dass Tageszeitungen zukünftig vermehrt auf schnelllebige Kanäle setzen. Markus Wiegand, Chefredakteur des Fachmagazins „kress pro“, argumentiert in einem kürzlich erschienenen Artikel zum Ende des digitalen Journalismus dagegen. „Die große Verlockung, mit SEO-getriebenem Journalismus möglichst viel flüchtiges Publikum anzuziehen, wird nicht mehr funktionieren. Stattdessen wird es darum gehen, über Newsletter, Apps oder Podcasts Menschen an Marken zu binden. Das ist gesellschaftlich eine gute Nachricht. Denn damit geraten auch die überdrehten Reichweitenmodelle unter Druck, die mit Zuspitzungen auf schnelle Klicks und kurzfristige Vermarktungserlöse gesetzt haben.“ Medien brauchen demnach also ein Stammpublikum, keine flatterhaften Newsjunkies und Doomscroler, die von Eilmeldung zu Eilmeldung hasten, unabhängig von der Quelle.

Beispiel für erfolgreichen Plattform-Mix

„Die Zeit“ scheint den Spagat zwischen den verschiedenen Plattformen zu finden und damit möglichst viel Reichweite zu erzielen. Im zweiten Quartal 2025 wurde „Die Zeit“ pro Woche 633.000-mal gedruckt verkauft (IVW) und konnte zwischen 2015 und 2025 die Auflage um 26 Prozent steigern. „Der Spiegel“ hat in diesem Zeitraum etwa 20 Prozent einbüßt, so das Fachmedium „absatzwirtschaft“. Zudem entwickelte „Die Zeit“ im Laufe der Jahre rund 30 Podcasts, die monatlich zusammen 20 Millionen Mal heruntergeladen werden. Und auch das Bespielen von Sozialen Netzwerken wie TikTok vernachlässigt die Wochenzeitung nicht. Laut Geschäftsführer Rainer Esser erzielt der Zeit-Verlag dort etwa 20 bis 30 Millionen Views im Monat, berichtet „absatzwirtschaft“.

Warum ein Gesamtüberblick weiterhin fehlt

Erfolgreiche Zahlen wie diese schaffen es an die Oberfläche. Aber es fehlt ein Gesamt-Überblick. Institutionen wie die IVW bieten sehr viele Zahlen über Medien, die dort als Werbeträger bezeichnet werden, weil sie sich vornehmlich an Media-Planer richten. Dennoch fehlen heute in relevanten Bereichen Daten wie zum Beispiel Nutzungsstatistiken zu den Apps der Werbeträger. Ein großes Problem sind auch die vielen Austritte aus der IVW-Messung. Große Verlagshäuser wie die „Funke Mediengruppe“ lassen die Zahlen ihrer Online-Angebote nicht mehr von der Online-IVW erfassen oder steigen auf andere Reichweitenmessungen um wie auf die Media-Analyse der „Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse e. V.“ Darunter leidet die Vergleichbarkeit zusätzlich.

Planungsgrundlagen für PR und Werbung fehlen

Die Bedeutung der digitalen Kanäle Website, Apps, E-Papers, Newsletter, Podcasts und Videos darf nicht unterschätzt werden. Denn das Interesse und die Nachfrage besteht – das zeigen die Download-Zahlen der vielen Podcast-Angebote der Tages- und Wochenmedien auf den Streamingdiensten. Aber solange verlässliche und vergleichbare Zahlen zu allen digitalen Angeboten fehlen, bleibt die Hälfte dieses Medienmarkts im Dunkeln. Für Werbetreibende, PR- und Medienschaffende erschwert das die Einschätzung, welche digitalen Angebote von wem wie intensiv genutzt werden.

Die Frage, welche digitalen Angebote der Tages- und Wochenzeitungen in Deutschland am meisten genutzt werden, welche die höchste Reichweite haben, ist bei der aktuell mangelhaften Zahlenlage schwer zu beantworten. Für Print und E-Paper gibt es Angaben, aber bei allen anderen digitalen Kanälen stochern wir leider komplett im Nebel.

Bildhinweise: Titelbild CCL pixabay pexels; Screenshot Webseite F.A.Z. digitale Angebote vom 14.10.25; Symbolbild Smartphone CCL pixabay Gerd Altmann; Screenshot IVW-Webseite vom 14.10.25

0 Kommentare

Dein Kommentar

Want to join the discussion?
Feel free to contribute!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.