Presseportale oder tu das Wesentliche, nicht das Machbare

Viele bunte Luftballons steigen in den blauen Himmel. Darunter Baumwipfel. Ballons haben einen Zettel an der Schnur.

Der PR-Dienstleister PR-Gateway hat eine stattliche Sammlung und eine noch stattlichere Analyse von „Presseportalen, News-Portalen, Themen- und Branchenportalen, Blogs, Magazinen und Social Media“ erstellt. Auf 40 Seiten erhalten PR-Expertinnen und -Experten Informationen und Links auf mehr als 140 Presseportale und Online-Medien im DACH-Raum, rund 20 internationale Presseportale, rund 50 Portale für Event-Hinweise, acht Content-Plattformen und 16 soziale Netzwerke. Wenn es Sie interessiert, können Sie sich die Übersicht hier herunterladen.

Kurz zum Urheber der Analyse: PR-Gateway ist ein Service der Adenion GmbH mit Sitz in Grevenbroich (ja, Sie erinnern sich richtig, das ist der Wirkungskreis vom schnarchenden schnappatmenden Horst Schlämmer alias Hape Kerkeling). Seit etwa dem Jahr 2000 bietet Adenion digitale Services für PR und Marketing an und gilt, neben der dpa-Tochter „news aktuell“ und „pressrelations“, gemeinhin als ein PR-Hub für die Verbreitung von Pressematerial. Die Analyse und Verkaufsargumente von PR-Gateway sind der Aufhänger für das Thema dieses Beitrags und der Frage, ob und wenn ja wie Presseportale ganz allgemein die Pressearbeit sinnvoll unterstützen. PR-Gateway steht hier stellvertretend für ähnliche Content-Distributoren von Pressematerial.

Die Nutzenargumente für PR-Hubs

PR-Gateway nennt kurz zusammengefasst vier Vorteile, die eine Verbreitung von Pressematerialien über Presseportale und Online-Medien bieten:

  1. SEO-Effekte für die Google-Suche
  2. Zielgruppen werden besser adressiert
  3. Journalisten werden direkter erreicht
  4. Automatisierte Verbreitung spart Zeit und Personal

Zu Punkt 1, dem SEO-Effekt: Ob durch die Verbreitung von PR-Material auf Presseportalen tatsächlich die Auffindbarkeit durch Google und das Ranking in der Suche verbessert wird, kann ich nicht beurteilen. Es wird häufig behauptet, dass dem so ist, aber dazu liegen mir keine Daten, keine Studien vor. Die Frage ist aber ohnehin, ob die Suchmaschinenoptimierung, die Verlage und Publikationen selbst durchführen, den Interessenten nicht doch zu besseren Informationsquellen führen, weil sie ausführlicher sind als die auf den Neuigkeitswert fokussierten Presseinformationen. Wenn ich zum Beispiel einen neuen ergonomischen Bürostuhl suche, würde ich es bevorzugen, eine Liste von Anbietern oder Testberichte zu erhalten und eher keine Presseinformation. Ganz abgesehen davon, dass natürlich Suchmaschinen und auch die KI wissen, was standardisierte Massenware in punkto Information ist und was individuell hintergründig recherchierte Inhalte sind. Letztere dürften vom Algorithmus bevorzugt werden, da sie, wie oben geschildert, bessere Inhalte für die Nutzer bieten als eine Presseinfo.


Zu den Vorteilen in Punkt 2: Die Argumente, die Zielgruppen würden direkter erreicht werden, versehe ich ebenfalls mit einem Fragezeichen. Wie soll das konkret in der Praxis funktionieren? Denn auch Print- und Online-Medien, die diverse Presseportale zum Beispiel ihren Fachverteilern „Finanzen/Wirtschaft“ listen, publizieren ja nicht automatisch alle News, die über Presseportale eintreffen. Die Online-Redaktionen von Wirtschaftswoche, Wallstreet Journal oder Asscompact prüfen, was sie ihren Lesern servieren und was nicht. Das gilt auch für alle weiteren Fachverteiler, die PR-Gateway beschreibt, wie zum Beispiel zu den Themenbereichen „IT/New Media/Software“, „Medizin/Gesundheit/Pharma“ und „Tourismus“. Alle Meldungen prüfen Redakteurinnen und Redakteure vor Veröffentlichung immer auf Relevanz. Presseportale sind daher nicht der direktere Weg zur Zielgruppe.


Hinter Punkt 3, Journalisten werden durch Presseportale direkter angesprochen, setze ich ein Nein. Die gesteuerte direkte Ansprache funktioniert nur über eigene Presseverteiler, die von der Pressestelle oder der Agentur selbst thematisch segmentiert, selbst recherchiert und selbst laufend aktualisiert werden. Dabei muss natürlich darauf geachtet werden, dass die persönlich bekannten Kontakte erreicht werden. Nur so gelingt eine punktgenaue Belieferung mit relevanten Informationen. Auf mehrfache Nachfrage bei einem sehr bekannten Presseportal, welche Journalisten denn in dem Fachverteiler wären, haben wir keine Antwort bekommen, nicht mal einen Auszug. Wer angeschrieben wird, weiß der Versender nicht und soll es wohl auch nicht wissen. Das würde ja das Geschäftsmodell untergraben, logisch. Für die Pressearbeiter im Unternehmen sind damit Folgekontakte aber nicht möglich.


Das vierte Argument legt den Finger in die Wunde vieler Pressestellen, die „Zeitfresser“:

Durch den Versand von Pressematerial über Presse-Hubs spart sich der PR-Verantwortliche viel Zeit. In diesem Zusammenhang nennt PR-Gateway weitere PR-Dienstleister, die Meldungen an tausende Multiplikatoren, Journalistinnen und Journalisten, Analysten, Pressesprecherinnen und Pressesprecher verbreiten: „Press1“, ein Service vom „Hightext-Verlag oHG“ mit Sitz im bayerischen Weßling und „pressrelations“ von der pressrelations GmbH mit Sitz in Düsseldorf. Sämtliche Content-Formate lassen sich auf Knopfdruck nicht nur an Medien senden, sondern auch in die sozialen Netzwerke spülen. Das ist praktisch und spart Zeit. Und dann?

Was bringt’s?

Aber wozu dient eine unpersonalisierte Content-Verbreitung auf Knopfdruck an Verteiler, von denen ich nicht weiß, welche Personen drin sind? Erreichen wir damit die Ziele der Pressearbeit? Ich mache es nicht spannender als es ist: Nein.

Auf den ersten Blick ist es sehr verlockend, sich in der Pressearbeit auf Distributionsportale zu verlassen, um Journalisten zu erreichen, um von Zielgruppen gelesen zu werden, um SEO-Effekte abzugrasen. Doch die Allgegenwart per Automat ist eine schöne Phantasie. Eine Presseinformation wird nicht dadurch erfolgreicher, dass sie an 10.000 Journalisten, auf zehn Content-Plattformen gepostet und in 20 sozialen Medien steht. Zudem verunsichern und verwässern derlei Distributionsverfahren den Auftrag und die Bedeutung echter Pressearbeit. Führungspersonal ohne PR-Expertise stellt sich nämlich die Frage: „Wozu brauchen wir gelernte PR-Expertinnen und -Experten, wozu eine PR-Agentur, wenn der Erfolg doch so einfach und billig zu haben ist? Texte werden von der KI zusammengeschustert und dann automatisiert in die Welt gespült. High five!“

Pressearbeit ist Beziehungsarbeit auf Sachebene

Die Ernüchterung folgt schließlich bei der Jahresanalyse vom Pressespiegel. Kein Bericht in der Tagespresse? Nicht mal eine Erwähnung im Fachmagazin? Ja, weil eine mechanistische Pressearbeit in einer Zeit, in der Aufmerksamkeit die höchste Marketingwährung ist, nicht funktioniert.

Die Pressearbeit dreht sich um Multiplikatoren wie die Erde um die Sonne. Key-Journalistinnen und Journalisten hat man für jede Branche, jedes Thema, jedes Produkt, jede Lösung oder jede Dienstleistung. Die wichtigsten Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner sind nach Priorität geordnet und es ist klar, wofür sich jeder einzelne Medienpartner interessiert. Die Pressestelle oder die Agentur pflegt einen persönlichen Kontakt auf Sachebene. Damit das funktioniert und nicht im getriebenen Alltag untergeht, gibt es ein Pressekontakt-Programm (PKP). Darin ist geregelt, wer wann mit welcher Journalistin oder Journalisten zu welchem Thema spricht. Auf dieser Basis werden die Termine organisiert und die Gespräche begleitet.

Ein Heissluftballon vor blauem Himmel in den Bergen.
Profi-Pressearbeit ist so individuell wie eine Ballonfahrt. Bringt auch mehr.

 

Key-Medien für Krisenkommunikation

Key-Journalistinnen und Key-Journalisten sind im Ernstfall von großer Bedeutung. Im Krisenkommunikationsplan sind sie ein fester Bestandteil. Sie werden im Fall einer Krise zuerst und aktiv über den Stand der Dinge, Hintergründe und die weiteren Schritte informiert. Ein etabliertes Vertrauensverhältnis ist dafür die Voraussetzung. Mit der Vorab-Information kommt die Pressestelle, kommt der Krisenstab einer ungesteuerten Information der Öffentlichkeit zuvor. Lancierte Infos von externen oder internen Personen verbreiten sich in Windeseile und meistens sind es nur emotionale Info-Fetzen, die ein Ziel haben: für einen Tag ein Klick-Hero. Diese Inhalte wieder aufzusammeln, einzuhegen und durch sachlich korrekte Aussagen zu ersetzen, erfordert sehr viel Aufwand, Zeit und Personal. All das haben Unternehmen im Krisenfall selten.

Dedizierte Themenmatrix für Management und Technik-Experten

Das Pressekontaktprogramm regelt für die Unternehmensvertreter die relevanten Themen. Geschäftsleiter und das Top-Management sprechen in aller Regel über Unternehmenszahlen, analysieren den Markt, weisen auf Wachstumsprognosen und Herausforderungen hin, sprechen über Personalpolitik und Management-Strategien. Die Themen entsprechen denjenigen, die Geschäftsentscheider draußen im Markt interessieren. Warum ist das wichtig? Entscheider unterschreiben am Ende den Vertrag für Investitionen. Dafür ist Vertrauen die Grundlage, nicht nur die Qualität der Produkte: Wie lange gib es den Anbieter schon, hat er Referenzen, betreibt er Produktpflege und wie transparent ist die Rechnungsstellung? Technische Experten sprechen mit der jeweiligen Fachpresse oder Special-Interest-Medien über die Produkte, Lösungen und Dienstleistungen im Detail. Denn nicht Firmen machen mit Firmen Geschäfte, sondern Menschen mit Menschen.

Sündenfall Irrelevanz

Jeder PRler weiß es: Journalistinnen und Journalisten per Massenmailing mit Infos zu behelligen, die sie nicht interessieren, ist der direkte Weg zur Geringachtung. Diese Gefahr sehe ich bei Aussendungen an nicht geprüfte Sammelverteiler, deren Empfänger der Absender nicht in der Hand hat. Obwohl wir für unsere Kunden ausgesprochen feingliedrige Kundenverteiler pflegen, werden bei einem Versand einer Presseinformation dennoch die Empfänger vor dem Klick auf den Send-Button nochmals geprüft und gegebenenfalls Personen entfernt oder hinzugefügt. Die Gefahr ist nämlich zu groß, eine Abmeldung vom Verteiler oder gar ganz von der Datenbank zu kassieren.

Fazit: Zusatz ja, aber nicht als Kern der Pressearbeit

Die Verbreitung von Pressematerial über Content-Distributoren ist unter drei Rahmenbedingungen eine Option: Ein Unternehmen hat nur sehr begrenzte Mittel und/oder kein professionelles PR-Personal an Bord, will aber Pressematerial an Medien versenden, damit eine Meldung einfach mal im Markt ist. Mehr Anspruch steckt dann nicht dahinter.
Presseportale sind in einem weiteren Fall nützlich: Wenn kurzfristig ein Thema aufploppt, zu dem sich a) in der Kürze der Zeit kein qualifizierter Verteiler erstellen lässt, b) die Kosten für die Recherche von relevanten Journalisten nicht im Verhältnis zum Nutzen stehen oder c) die Relevanz des Themas für das Unternehmen gering und nur für eine kurze Zeitspanne wichtig ist und ein langfristiges Themen- und Medienmanagement nicht notwendig ist.
Im dritten Fall möchten PR-Abteilungen keinen SEO-Effekt auslassen und verbreiten Pressematerial deshalb auch über Presseportale. Hierbei fungiert diese Verbreitung aber lediglich als Beiwerk der professionellen Pressearbeit. Das ist natürlich möglich, ersetzt aber niemals den Kern von Pressearbeit, nämlich den persönlichen Dialog auf Sachebene und Augenhöhe, getreu der Devise „Tu das Wesentliche, nicht das Machbare.“

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