Sind Tageszeitungen für die Pressearbeit noch wichtig?
Dieser Beitrag hat drei Teile. Der Einstieg widmet sich der aktuellen Situation der führenden überregionalen Tageszeitungen. Im zweiten Teil beschreibe ich einige Ansätze der Pressearbeit und im letzten Teil wird die Frage der Überschrift beantwortet. Es geht hier übrigens nicht um Standort-PR in der Lokalpresse. Gerne ein andermal.
Die nationalen Tages-Leitmedien definieren für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit anspruchsvolle Maßstäbe. Daran hat auch die Tatsache nichts geändert, dass der Printbereich jährlich schrumpft. Seit 1991 bis heute werden 40 Prozent weniger Papierausgaben unter das Lesevolk gebracht. Vereinfacht gesagt: Die Printauflage bei Tageszeitungen hat sich in zehn Jahren halbiert.
E-Paper kann nicht kompensieren
Das E-Paper feiert zwar Erfolge, doch es macht die sinkenden Erlöse aus den Druckerzeugnissen nicht wieder wett. Die Anzeigenpreise in Print-Publikationen sind aufgrund der Produktions- und Vertriebskosten nach wie vor deutlich höher als E-Paper-Ausgaben. Laut „Bundesverband der Digitalpublisher und Zeitungsverleger“, BDZV, ist der Verkauf von E-Paper der Tageszeitungen 2024 um rund 8,4 Prozent auf 2,9 Millionen verkaufte Exemplare gewachsen. Die wichtige Kennzahl der Abonnements hat daran einen Anteil von rund 60 Prozent. Je höher die Abo-Rate desto stärker die Leserbindung. 60 Prozent ist aber keine Zahl, die jubeln lässt.
Bei Printmedien scheiden sich die Generationen
Auf den Grafiken für alle Zeitungen und Fachzeitschriften von 2014 bis 2024 könnte man flott Schlitten fahren: Die „Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern“, kurz IVW, gibt Ende 2024 folgende Grafiken zur Entwicklung der Print-Exemplare heraus:


Nicht viel anders sieht es bei Publikumszeitschriften aus. Nur die Wochenzeitungen sind eine rühmliche Ausnahme und halten ihr Niveau.
Die Rangfolge in der täglichen Mediennutzung führten 2024 in Deutschland das lineare Fernsehen und Radio an. Die Tendenz ist vor allem durch die jüngere Zielgruppe, die nicht-lineare Medien bevorzugt, deutlich rückläufig. Der Konsum von Druckerzeugnissen ist laut ARD/ZDF-Medienstudie 2024 Sache der Über-50-Jährigen.

Die Grafik zeigt die Vergreisung der Leserschaft von Print-Erzeugnissen.

Die tägliche Reichweite von gedruckten Zeitungen und Zeitschriften ist im Jahresvergleich 2024 zu 2023 um sechs Prozent gesunken.
Die führenden Vier in Zahlen
Auf die vier, gemäß verkaufter Auflage führenden überregionalen Tageszeitungen sieht die Statistik Ende 2024 ungefähr so aus – alle Zahlen sind gerundet.

Die SZ war schon immer der Platzhirsch unter den seriösen Tagesmedien. Vor 20 Jahren, 2005, lag die Anzahl der verkauften Exemplare bei 446.000. Die FAZ verzeichnete damals 367.000 verkaufte Exemplare.
Alle Verlage haben in den 2000er Jahren neue Geschäftsmodelle etabliert oder verstärkt, um dem Druck durch die Sozialen Netzwerke zu begegnen und die jüngere Zielgruppe zu erreichen. Sie nutzen X, Facebook, YouTube, Instagram, TikTok und Podcasts. Sie bieten Apps an, veranstalten Events und Online-Debatten, loben Preise aus und bieten teure Newsletter für Hintergrundinfos an. Die App der SZ verzeichnet beispielsweise mehr als eine Million Downloads. Der SZ-Podcast heißt „Auf den Punkt“ (gibt’s bildfrei auch auf YouTube), bei der FAZ „Podcast für Deutschland“ und das Handelsblatt ist mit dem „Handelsblatt Morning Briefing“ unter den deutschen Top-20-Podcasts. Diese Wirtschaftszeitung ist wohl auch der Event-König, denn sie richtet fast täglich irgendeine Veranstaltung aus.
Berichterstattung in den Ressorts Wirtschaft & Politik und Unternehmen
SZ, FAZ, Handelsblatt und Tagesspiegel – kaum ein Unternehmen, das sich nicht in diese reichweitenstarken Medien lesen möchte. Die Leserschaft ist eine breite, bildungsnahe Zielgruppe und, wie die Mediadaten ausweisen, in Unternehmen an Entscheidungen beteiligt. In aller Regel bestimmen die Redakteurinnen und Redakteure aber ihre Themen a) anhand des aktuellen Geschehens, b) durch eigene Recherchen zu angesagten Hypes oder publizieren c) investigativ gewonnene Hintergrundinfos. Themenangebote aus der Wirtschaft sind zwar willkommen, müssen aber Kriterien erfüllen.
Pressearbeit im Wandel
Off-the-Records-Gespräche, vertrauliche Hintergrundgespräche, funktionieren kaum mehr. Eigentlich sollten sie Redakteurinnen und Redakteuren helfen, Themen, Unternehmen und Produkte besser einordnen zu können. Dafür fehlt aber die Zeit. Deshalb finden die meisten Interviews heute auch online statt. Die Zeiten, in denen sich beispielsweise neue Geschäftsführer großer Unternehmen bei den Schlüsselmedien in einer Redaktionstour persönlich vorstellten, sind weitgehend vorbei. Hat der neue GF aber interessante oder exklusive Infos im Gepäck, die publiziert werden dürfen, sieht die Sache anders aus. Diese persönlichen Pressegespräche dauern etwa 20 bis 40 Minuten.
TEIL 2
Tipps für die Pressearbeit mit überregionalen Tageszeitungen
Jeder PRler weiß: Redakteurinnen und Redakteure der Leitmedien kennen jede Form der inhaltsfernen „Überzeugungsarbeit“ wie Hinweise auf Anzeigenschaltungen – und mögen sie nicht. Der Aufwand für ernst gemeinte Pressearbeit mit Leitmedien ist nicht gering. Hier ein paar Tipps aus der Praxis:
- Monitoring und Analyse: Die Arbeitsebene mit dem Pressevertreter gelingt, wenn die inhaltlichen Vorschläge gut vorbereitet sind:
a. Die gesamte Berichterstattung über das vom Unternehmen gewünschte Thema sollte langfristig beobachtet und analysiert werden.
b. So kristallisieren sich Medien, Journalistinnen oder Journalisten heraus, die sich am intensivsten und kompetentesten mit dem Thema beschäftigen.
c. Nicht zu vernachlässigen sind auch (feste) freie Journalistinnen und Journalisten, die dem Medium zuarbeiten. - Ein Pressekontaktprogramm mit Key-Journalistinnen und -Journalisten ist das Ergebnis. Es sorgt für Kontinuität und Nachhaltigkeit bei der Beziehungspflege.
- Der Presse-Gesprächspartner vom Unternehmen sollte aus dem Top-Management kommen. Ist der CEO oder GF jedoch kein souveräner Sprecher und mit allen Aspekten des Unternehmens bestens vertraut, kann auch ein alternativer Vertreter aus der Management-Ebene für Pressegespräche aufgebaut werden.
- Exklusivität kann ein zusätzlicher Anreiz für Journalistinnen und Journalisten sein, sich auf ein Interview zu verabreden. Die Infos müssen entsprechende Relevanz haben. Die Exklusivität gilt meist nur bis zur Veröffentlichung, sofern nichts anderes vereinbart wurde.
Ansätze für die Themenfindung
Jedes Unternehmen definiert in der strategischen Unternehmenskommunikation seine Themen auf der Grundlage der Unternehmensstrategie und der Positionierung mit Alleinstellungsmerkmalen. Zusätzlich finden sich im Storytelling und im Wording-Handbuch auch die Formulierungen der Mission und der Vision des Unternehmens. Damit ist das erste Gerüst für das Themenmanagement vorhanden. Das muss nun noch mit konkreten Inhalten angereichert werden.
Auf Basis der gewonnenen Rundumsicht auf die Informationslage durch Monitoring und Analyse schließt sich die Frage an: Was können wir als Firma, als ein Teil eines Marktsegments beitragen. Die Karl-Valentin-Devise: „Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen“ greift auch in der Pressearbeit. Es bringt nichts, Bekanntes zu wiederholen. Jede Organisation, jedes Unternehmen hat ja individuelle Schwerpunktthemen. Entsprechend stehen unterschiedliche Ressorts zur Wahl.
Wie entstehen Aussagen? Ein kurzer Frageleitfaden:
- Gibt es aktuelle Berichterstattung zu Themen, die ein Aufhänger und Türöffner für unsere eigene Position sein können? Sie sollte sich unterscheiden.
- Welchen außergewöhnlichen Beitrag kann unser Unternehmen in diesem Kontext leisten?
- Haben wir eine andere Sicht auf den Markt oder auf Marktaspekte, die in der bisherigen öffentlichen Diskussion nicht erwähnt wurden?
- Werden die für uns wichtigen Fakten nicht gesehen und finden in der Berichterstattung nicht statt? Können wir ergänzen?
- Können wir in der Diskussion (repräsentative) Studien oder Zahlen beisteuern, die die aktuell diskutierten Themen sinnvoll ergänzen?
- Haben wir Erkenntnisse aus dem Vertrieb, die wir zu einer „Stimme aus dem Markt“ zusammenfassen können? Beispiele für B2B:
a. Was brennt unseren Kunden am meisten unter den Nägeln?
b. Welche extravaganten Probleme und Herausforderungen finden wir bei unseren Kunden vor – eventuell auch im Vergleich mit anderen Ländern.
c. Gibt es strukturelle/systemische Hemmnisse für die Entwicklung eines Marktes oder Marktsegments? - Gibt es strategische Unternehmensthemen, die für den nationalen Markt relevant sind wie etwa geplante Übernahmen von Unternehmen oder Investitionen in lokale Standorte?
Das sind nur einige Beispiele dafür, wie Unternehmen zu für die Tagespresse tauglichen Informationen gelangen. Wie werden diese Infos an die Medien herangetragen? Dafür gibt es unterschiedliche Wege (s. auch mein Beitrag zur Exklusiv-PR). Bei uns wird das Thema der zuständigen Redakteurin oder dem Redakteur im ersten Schritt telefonisch angeboten. Oftmals kann man sie aber nicht erreichen und so wird im Vorfeld ein Themen-Exposé vorbereitet, das man alternativ an den Medienvertreter schicken kann oder im Nachgang an das Telefonat. Dieser Themenaufriss gibt Antwort auf die typische Frage der Medienvertreter „Warum glauben Sie, sind Ihre Infos für unsere Leser interessant?“. Durch Themen-Monitoring und Analyse der bereits publizierten Beiträge beantworten Medien-Pitch und Themen-Exposé diese Frage überzeugend. Wird das Themenangebot aber dennoch abgelehnt, ist das kein Beinbruch.
TEIL 3
Lohnt sich der Aufwand für Pressarbeit mit überregionalen Tageszeitungen?
Darauf gibt‘s drei Antworten, weil die Zielsetzung ja unterschiedlich sein kann.
Im Sinne der Vertriebsunterstützung im B2B ist die Antwort Nein. Dazu ist die Leserschaft der Tagespresse zu indifferent, zu wenig zielgruppenspezifisch. Hier findet sich in den Branchenmedien das bessere Publikum. Die Fachpresse ist die erste Adresse für die Vorstellung von B2B-Lösungen und Produkten, von Marktstrategien, von Daten und Fakten.
Im Sinne der strategischen Markenbildung ist die Antwort Jein. Ein Ja gilt dann, wenn die flankierenden Maßnahmen zur Markenbildung eingesetzt werden wie zum Beispiel der Werbedruck durch Anzeigen, laufende Aktivitäten in den Sozialen Netzwerken, Inbound-Marketing und Newsletter-Marketing, Messen und Events. Derart eingebettet zahlt die Berichterstattung in Tageszeitungen auf die Marke ein.
Ja, die Pressearbeit lohnt sich
Überregionale Tageszeitungen sind wie alle Leitmedien kritische Berichterstatter. Die Leserschaft erwartet von ihnen Relevanz und Glaubwürdigkeit. Sie erwartet Investigation und Analyse, Einordnung und Orientierung. Ihre Themen haben alle Aspekte einer Gesellschaft im Blick und deshalb müssen sie hart selektieren oder sie verlieren an Ansehen bei Leserinnen und Lesern.
Was bedeutet Relevanz konkret? Um als Organisation oder Unternehmen gemäß ihren Maßstäben für Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, Kultur oder Technologie relevant zu sein, muss man das beweisen. Zu beweisen sind fundierte Expertise im jeweiligen Marktsegment; Aussagen, die die öffentliche Diskussion bereichern; innovative Produkte, die auf das Marktgeschehen Einfluss haben; Visionen, die in die Zukunft zeigen. (Überflüssig zu erwähnen, dass Firmen ab einer gewissen Größe und Marktbedeutung immer auf dem Radar der Leitmedien sind.)
Deshalb haben auch Jungunternehmen die Möglichkeit, von ihnen gesehen zu werden; haben auch kleine und mittlere Unternehmen eine Chance, in der Berichterstattung berücksichtigt zu werden – allenthalben bekannt als die Hidden Champions. Ein ernst gemeintes Engagement in der Pressearbeit ist für Redakteurinnen und Redakteure auch ein Zeichen dafür, dass Unternehmen das große Ganze im Blick haben und sich nicht nur egozentrisch mit ihren Produkten befassen. Deshalb ist kontinuierliche und nachhaltige Pressearbeit mit den Leitmedien in jedem Fall die Mühe von Monitoring, Analyse und Themenangeboten wert.
Und zu guter Letzt: Sie trägt auch zur Vertrauensbildung mit interessierten Teilöffentlichkeiten wie Kunden, Mitarbeitern, Partnern und Lieferanten bei. Die Geschäftsleitung des Unternehmens in den hochkarätigen, nationalen Leitmedien zu lesen, ist für alle, die in einer Beziehung mit dem Unternehmen stehen, eine positive Bestätigung der gesellschaftlichen Relevanz und Teilhabe.
Titelbild: Quelle pixabay.de, CCL, Autor: Mr1900
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