Soziale Gerechtigkeit verstehen

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Soziale Gerechtigkeit: Demonstrierende Menschen

Am 20. Februar findet zum 15. Mal der Welttag der Sozialen Gerechtigkeit statt. Gemäß einer Umfrage auf statista.de von Mitte Juli 2022 „…beurteilten rund 62 Prozent der Befragten die soziale Gerechtigkeit in Deutschland als (sehr) ungerecht.“

Das ist eine auf den ersten Blick alarmierende Zahl – und scheint eine große Menge solcher Menschen zu sein, die offensichtlich das soziale Grundgerüst als schwankend oder unausgewogen betrachten. Demzufolge werden in Deutschland also Menschen sozial benachteiligt oder ungerecht behandelt?! Was bedeutet eigentlich „gerecht“ im Kontext der sozialen Gerechtigkeit? Und wer sind diese 62 Prozent der Befragten? Man kann eines mit Sicherheit sagen:

Die Frage nach sozialer Gerechtigkeit wird im Kiosk in Duisburg-Marxloh gewiss anders beantwortet als im Feinkost-Käfer-Restaurant in München.

Ohne Moos nix los?

Im Durchschnitt betrachtet lautet die simpelste Gleichung dazu: Wer arbeitet, verdient Geld. Wo Geld verdient wird, steigen die Chancen auf Bildung. Bedeutet das im Umkehrschluss also: Wer nicht arbeitet, verdient kein Geld und hat damit keine Chance auf Bildung? Ist dies also die Formel auf der Suche nach der Definition einer sozialen Gerechtigkeit?

Christoph Butterwegge, Politikwissenschaftler und Armutsforscher, hat dazu neben mehreren Fachbeiträgen auch ein Videointerview gegeben, in dem er erwähnt, dass es unter anderem von den materiellen Ressourcen abhängt, ob sich jeder Mensch frei entfalten kann oder nicht. Er bringt auch den Begriff Leistungsgerechtigkeit ins Spiel. Und auch diese Definition der Prinzipien einer Verteilungsgerechtigkeit wird aus mehreren Perspektiven unterschiedlich beschrieben. Für den einen ist Leistung das, was Abfallentsorger, Krankenhauspersonal oder Bauarbeiter täglich erbringen. Für andere ist es Leistung, einen Konzern zu leiten. Oder als Broker den weltweiten Finanzmarkt zu analysieren und dieses Wissen gewinnbringend einzusetzen.

Kritiker bemängeln in diesem Zusammenhang, dass es eine Ungerechtigkeit darstellt, wenn ein Unternehmenserbe wegen entsprechender Gesetzesvorgaben von der Erbschaftssteuer befreit wird. Es wäre demzufolge keine Leistung, der Sohn oder die Tochter einer Millionärsfamilie zu sein. Ist es also gerecht, wenn der berufliche oder gesellschaftliche Weg dieses Erbens ein völlig anderer ist als der eines Gastarbeiterkindes? Verfechter der Leistungsgerechtigkeits-Theorie haben auch hierfür eine Pauschalregel, die sinngemäß lautet, dass jeder seines Glückes Schmied sei.

Soziale Gerechtigkeit: Hilfe kommt – für jedermann?

Ganz so einfach ist es nicht, und eine Vielzahl von Experten und Wissenschaftlern sind Vorurteilen dazu auf der Spur. Sicher ist, dass denjenigen, die in unserem Land in Not geraten, auf unterschiedlichste Weise geholfen werden kann. Hier greift der Grundpfeiler der sozialen Hilfe. Neben Unterstützungen wie Arbeitslosen- oder Bürgergeld stehen Bedürftigen Sozialhilfe, Wohngeld, Kinderzuschläge, Grundsicherung im Alter, Erwerbsminderungshilfe zum Lebensunterhalt und weitere Sozialhilfeleistungen zu. Diese sind in aller Regel grundsätzlich abhängig von Einkommen und Vermögen der Antragssteller. Und das empfinden die meisten Bundesbürger als gerecht: Wer nichts hat, dem hilft die Gemeinschaft. Die Gegenprobe: Stehen dem arbeitssuchenden Hausbesitzer mit Luxuskarosse und Aktiendepot diesem Gerechtigkeitsverständnis folgend somit keine oder bedeutend geringere Unterstützung aus öffentlichen Mitteln zu? Wäre dies dann sozial betrachtet gerecht? Ist das dann die Soziale Gerechtigkeit?

Schaut man sich an, woher diese öffentlichen Mittel kommen, so wird eines schnell klar: Beiträge zu Sozial- und Arbeitslosenversicherungen stammen aus den Steuern, die jeder Arbeitnehmer und auch Arbeitgeber in die Sozialkassen einbezahlen. Somit stünde – wäre die Gerechtigkeit so einfach zu definieren – nur denen etwas aus diesen Töpfen zu, die auch dort einbezahlt haben. Menschen, die krankheitsbedingt nie arbeiten konnten oder ob mangelnder Bildungsmöglichkeiten nie einen nur ansatzweise einträglichen Job annehmen konnten, dürften demzufolge nicht oder nur bedingt aus diesem Topf schöpfen. Wäre also dies sozial gerecht?

„Dort, wo jemandem etwas gegeben wird, wird es irgendwem an anderer Stelle genommen“, lautet eine oft vernommene Meinung. Unsere Politik ist bei der Klärung der Frage nach sozialer Gerechtigkeit dabei auch nur bedingt hilfreich – zumal es dann auch sehr stark von der entsprechenden Parteizugehörigkeit abhinge, wie dafür oder dagegen argumentiert wird. Lieber Leser und liebe Leserin, Sie merken: Auch nach mehr als 600 Wörtern zu diesem Thema ist es weder einfach, soziale Gerechtigkeit als solche zu definieren noch eine mustergültige Antwort darauf zu geben, was gerecht ist und wo die Politik einschreiten sollte, um Gerechtigkeit zu schaffen.

Mann und Frau und Gerechtigkeit

Es gibt übrigens einen weiteren Aspekt bei der Frage nach der sozialen Gerechtigkeit. Da wäre noch die unterschiedliche Entlohnung von Frauen und Männern am Arbeitsplatz. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – kurz „BMFSFJ“ – beschreibt auf seiner Webpage die Problematik und vermeintlich wirksame Maßnahmen gegen die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen. Aber warum wirken staatlich verordnete Kampagnen nicht? Etwa die zum Mindestlohn, dem Entgelttransparenzgesetz, dem Equal Pay Day oder der „klischeefreien Berufs- und Studienwahl“. Die Antwort ist einfach: Weil es keinerlei Verpflichtungen für die Wirtschaftsbetriebe gibt, sich an solche Empfehlungen zu halten. Denn mehr ist eine solche staatlich geförderte Kampagne nicht.

Aktuell gibt es jedoch Hoffnung für Gerechtigkeit bei der geschlechterneutralen Entlohnung: Das Bundesarbeitsgericht hat am 16. Februar 2023 zugunsten einer Klägerin geurteilt, die für einen identischen Job rund 1.000 Euro Bruttogehalt weniger als ein Kollege erhielt. Dagegen hatte Sie geklagt und jüngst also Recht bekommen. Und dies, obwohl die beklagte Partei auf „der Mann hat halt besser verhandelt“ plädierte.

Wir so im Kleinen

Sie merken: Es ist nicht leicht, der sozialen Gerechtigkeit auf den Grund zu gehen. Wir bei vibrio haben dazu selbstredend jeweils eigene Meinungen und Ansichten, aber in einem sind wir uns sicher: Unser Agentur-Team beurteilt Kollegen und Kolleginnen weder nach ihrer Herkunft noch nach ihrem Bildungsgrad oder ihrem Elternhaus. Löhne und Gehälter sind bei uns keine Frage der Ausbildung oder des Geschlechts. Mitarbeiterinnen, die bedingt durch Mutterschafts-Auszeiten eine Weile aus dem Job waren? Sie werden gerne und ohne Vorbehalte wieder in ihren ursprünglichen Arbeitsbereich integriert, wenn sie zurückkehren. All dem haben wir uns schon vor langer Zeit auch durch die Unterzeichnung der „Charta der Vielfalt“ verpflichtet. Wir machen damit vielleicht nicht die ganze Welt besser, aber senden zumindest in unserem kleinen Kosmos deutliche Zeichen gegen Ungerechtigkeit. In jedem Bereich.

Wie ist Ihre Meinung dazu? Das interessiert mich wirklich sehr, und ich freue mich auf sachliche Kommentare.

 

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