Moral über Profit. Oder doch nicht?

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Hundert Tage Schonfrist wird Politikern und neuen Regierungen nach Amtsantritt üblicherweise zustanden. Würde dieses Stillhalteabkommen auch für Gesetze gelten, müsste sich das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz dieser Tage einer ersten Zwischenbilanz stellen.

Schon im Vorfeld hat das Gesetz für kontroverse Diskussionen gesorgt. Der Gesetzesentwurf würde nicht weit genug reichen und sei lediglich eine Kompromisslösung, die durch Einwände der Unternehmensverbände zu stark abgeschwächt wurde, kritisierten seine Befürworter. Betroffene Unternehmen und Lobbyisten befürchteten negative Auswirkungen auf die Wirtschaft und kritisierten den erheblichen Aufwand, der mit dem Gesetz einhergehenden Sorgfaltspflichten.

Wofür stehe ich eigentlich ein?

Ich habe lange versucht, mir eine fixe Meinung zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zu bilden, aber es ist mir nicht möglich. So sehr ich mich auf die Seite der Befürworter schlagen möchte – ich kann auch die überforderten Unternehmen verstehen. Nicht nur der Name des Gesetzes ist kompliziert, auch seine gewissenhafte Umsetzung – die ich jetzt einfach mal voraussetze, weil ich wirklich darauf hoffe.

Hände einer Frau, die an einer Nähmaschine näht.

Unter welchen Umständen Fast Fashion entsteht, wird gerne verdrängt.

Eigentlich ist es ein Armutszeugnis, dass es überhaupt eines solchen Gesetzes bedarf. Es ist zutiefst beschämend, was wir anderen Menschen für unseren Komfort antun. In globalen Lieferketten werden Menschenrechte verletzt und die Umwelt zerstört, damit wir möglichst günstig konsumieren können. Kinder- und Zwangsarbeit werden für den eigenen Wohlstand toleriert. Und ja, auch ich bin eine von denen. Ich mache mir viele Gedanken und doch greife ich letztendlich lieber nach dem Schnäppchen. Andererseits produzieren selbst die hochpreisigen Hersteller in Billiglohnländern. Es ist ein Dilemma, das sich stundenlang diskutieren und zerpflücken ließe. Ei, Henne, whatever – so traurig es ist.

Rechte entlang der Lieferkette – Warum nicht schon früher?

Umso wichtiger ist es, dass mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz endlich ein rechtlicher Rahmen für die Einhaltung der Menschen-, Kinder- und Umweltrechte entlang der Lieferketten geschaffen wurde. Jede positive Veränderung, die das Gesetz bewirkt, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber was beinhaltet das Gesetz nun konkret?

Mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wird erstmals die unternehmerische Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten in den Lieferketten geregelt. Das heißt, dass die Unternehmen dafür verantwortlich sind, dass es entlang ihrer Lieferkette zu keinen Menschenrechtsverletzungen oder Beeinträchtigungen für die Umwelt kommt. Unter § 3 Abs. 1 LkSG liest sich das folgendermaßen:

„Unternehmen sind dazu verpflichtet, in ihren Lieferketten die in diesem Abschnitt festgelegten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten mit dem Ziel, menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken vorzubeugen oder sie zu minimieren oder die Verletzung menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten zu beenden.“

Die erwähnten Sorgfaltspflichten fordern von den Unternehmen folgendes:

  • Einrichtung eines Risikomanagements
  • Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit
  • Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen
  • Abgabe einer Grundsatzerklärung über die Menschenrechtsstrategie
  • Verankerung von Präventionsmaßnahmen
  • Ergreifen von Abhilfemaßnahmen
  • Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens
  • Dokumentation und Berichterstattung

Von Schlupflöchern und Bußgeldern

Vielfach kritisiert wurde, dass sich diese Sorgfaltspflichten nur auf direkte Zulieferer beschränken. Bei mittelbaren Zulieferern gilt nur eine anlassbezogene Sorgfaltspflicht. Das heißt, die Unternehmen müssen nur tätig werden, wenn es konkrete Hinweise für eine mögliche Rechtsverletzung gibt. Hinzukommt, dass das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz keine Erfolgspflicht vorsieht. Die Unternehmen sind lediglich dazu verpflichtet, sich zu bemühen. Aber: Werden die Sorgfaltspflichten des Lieferkettengesetzes missachtet, stellt dies eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einem Bußgeld von bis zu 500.000 Euro geahndet wird. Zudem ist bei Verstößen der Ausschluss aus öffentlichen Aufträgen vorgesehen. Wie gesagt, es ist kompliziert.

Aktuell fallen Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten unter das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das sind laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Kontrolle (BMZ) rund 700 Unternehmen. Ab 2024 werden bereits Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten berücksichtigt, damit erweitert sich der Kreis auf 2.900 Unternehmen. Betreiben ausländische Firmen Zweigniederlassungen in Deutschland, stehen auch sie in der Pflicht. Entspannt zurücklehnen können sich kleinere Betriebe übrigens nicht, sie sind oft unmittelbar betroffen, etwa als Zulieferer eines gesetzlich verpflichteten Unternehmens.

Dass die umfangreichen Sorgfaltspflichten einen unglaublichen bürokratischen Aufwand für die betroffenen Unternehmen bedeuten, lässt sich nicht schönreden. Eventuell reichen auch die vorhandenen Personalressourcen nicht für eine gewissenhafte Umsetzung aus. Alleingelassen werden die Unternehmen zum Glück nicht. Es gibt zahlreiche Unterstützungsangebote, beispielsweise Handreichungen durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) oder das Referat CSR (Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Um Branchen mit besonderen menschenrechtlichen Herausforderungen Orientierung zu bieten, hält das BMAS sogenannte Branchendialoge ab. Hierbei werden konkrete Handlungsanleitungen für die Umsetzung der Sorgfaltspflichten in betrieblichen Managementsystemen erstellt. Im Herbst letzten Jahres gab es einen ersten Branchendialog für die Automobilindustrie, Mitte Januar 2023 für die Energiewirtschaft.

Unternehmen können bei der Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes auf vielfältige Unterstützung zurückgreifen.

Mein Komfort über dein Wohl?

Der Aufwand ist extrem, das stimmt. Aber darf ein Mokieren überhaupt sein, wohlwissentlich, dass der eigene Aufwand die Arbeits- und Lebensbedingungen vieler Menschen nachweislich und signifikant verbessert?

Was ich ebenfalls häufig gelesen habe ist das Argument, dass das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz eine große Chance für Unternehmen wäre. Alle, die das Thema offensiv angehen und kommunizieren, könnten im Wettbewerb punkten. Nachhaltigkeit sei ein Trend, der bleibt. Puh. Darf ich mich als Unternehmen derart überhöhen? Denke ich auch an die Menschen, deren Rechte mit Füßen getreten werden oder sehe ich nur die Chance für meine Reputation? Nun bin ich selbst PR-Beraterin und könnte hier eine lukrative PR-Chance wittern. Kann ich aber nicht, denn trotz allem Profit sollten Mensch und Moral an erster Stelle stehen.

Ein heikles Thema, zu dem ich gerne mit Ihnen in den Dialog treten würde. Wie sehen Sie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz? Betrifft es Sie in Ihrem beruflichen Alltag? Wälzt die Politik Aufgaben auf KMUs ab, die sie überfordern? An welchen Stellen sind nach diesen ersten 100 Tagen Anpassungen nötig?

Hinterlassen Sie uns gerne Ihre Gedanken, wir freuen uns auf einen regen Austausch.

 

Auf einen Blick

Was regelt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz?

Das Gesetz verpflichtet Unternehmen zur Achtung von Menschen- und Umweltrechten entlang der gesamten Lieferkette. Geregelt wird dies durch vordefinierte Sorgfaltspflichten. Diese gelten für den eigenen Geschäftsbereich, für das Handeln eines Vertragspartners und das Handeln weiterer (mittelbarer) Zulieferer.

Für wen gilt das Gesetz?

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gilt seit Anfang 2023 für alle Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden, ab 2024 bereits ab 1.000 Mitarbeitenden. Betreiben ausländische Firmen Zweigniederlassungen in Deutschland, stehen auch sie in der Pflicht.

Gilt das Gesetz nur in Deutschland?

Ja, es wird aber bereits an einem europäischen Entwurf gearbeitet. Dieser sieht aktuell deutlich strengere Regeln vor und soll bereits für Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden gelten. Wird das Gesetz verabschiedet, haben EU-Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationale Gesetze zu überführen. Deutschland müsste sein Gesetz entsprechend nachschärfen.

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